Kleiner Ort bei Bad Bevensen feiert 50. Geburtstag seines Kneipen-Relikts, das für Generationen zum Dorfleben gehörte.

Groß Thondorf. Stünde dieser Laden in Berlin-Kreuzberg, er wäre Kult. Doch die Eichenquelle von Horst Markgraf liegt nicht im angesagten Hauptstadtviertel, sondern in Groß Thondorf, irgendwo in der Nähe von Bad Bevensen, hinter Wäldern, dick und grün mit Laub bewachsen. Horst, die Eichenquelle und das ganze Dorf widersprechen einem Trend: dem Sterben strukturschwacher Dörfer. Wie sehr in Groß Thondorf das Leben rockt, soll am Wochenende ein Konzert beweisen, das skurrilerweise den Geburtstag eines Kondomautomaten zum Anlass hat.

Es ist alltäglich geworden auf dem Land, dass erst der Bäcker schließt und dann der Gasthof. Dass kein Bus mehr fährt und die Kinder wegziehen, wenn sie groß genug dafür sind. In Groß Thondorf ist das anders. Da sind die alten Leute Bauern, und die Jungen fahren mit dem Metronom nach Hamburg zur Arbeit, eine Stunde ungefähr dauert das.

Das Dorf kurz vorm Wendland hat einen Spielmannszug, eine Motorsportgemeinschaft, einen Schützenverein, eine freiwillige Feuerwehr, einen Sportverein, einen Sparklub, einen monatlichen Gottesdienst in der Dorfkirche, einen Gasthof und etwa 350 Einwohner. Bei der jüngsten Einschulung in der Grundschule im Nachbarort stellten die Groß Thondorfer die Hälfte der Klasse, erzählen die Dorfbewohner stolz - sieben Kinder.

Ohne Kinder kein Dorf, ohne Vereine kein Gasthof. Das ist Horst klar, wenn er eine Antwort auf die Frage sucht, warum seine Frau Rosi und er die Eichenquelle halten können auf dem grünen Land, je 30 Kilometer von Lüneburg und Uelzen und der Elbe entfernt.

"Die Jungs von den Vereinen kommen her", sagt der Wirt, 62. "Sie wissen, dass es schlecht wäre im Ort ohne Kneipe." Obwohl Horst schon dran zu knabbern hat, dass die Feuerwehr ihre Sitzungen mittlerweile oft im kombinierten Feuerwehr- und Dorfgemeinschaftshaus abhält.

Klagen aber will er nicht. Schließlich hat er auch noch die Motorradfahrer, die Reiter, die Radler, die Jäger aus dem nahen Göhrde-Wald und die Alten aus dem Dorf, die nicht mehr arbeiten und morgens um 10 Uhr auf einen Kaffee in der Eichenquelle vorbeikommen - und, noch viel wichtiger: einen Schnack. Horst und Rosi schmeißen den Laden allein, Angestellte könnten sie sich nicht leisten bei Bierpreisen von 1,80 Euro für 0,3 Liter. Kommen Radfahrer vorbei und wollen Sauerfleisch mit Bratkartoffeln, springt Horst auch mal selbst nach hinten in die Küche und pult Pellkartoffeln.

Fertigware kommt den beiden nicht auf den Tisch - abgesehen davon, dass die Kartoffelbauern aus dem Ort der Köchin einen solchen Fauxpas niemals durchgehen lassen würden. Als das Paar vor 20 Jahren von der anderen Seite des Flusses aus der Gegend um Arendsee zuzog, weil die Vorbesitzerin einen Käufer für den Gasthof suchte, hat das Dorf Horst und Rosi mit offenen Armen empfangen.

"Die fanden schließlich keinen anderen Blöden, der das macht", sagt Horst und lacht. Weil er zu Hause ist in Groß Thondorf und weil jeder an der Theke weiß, wie er das meint.

Denn Groß Thondorf ist kein Dorf, das Zugezogenen die kalte Schulter zeigt. Das bestätigt auch Christian von Stern, der sich mit seiner Frau vor 16 Jahren in ein Jahrhundertwende-Gutshaus mit Apfelbäumen im Garten verliebte und es kaufte.

Auch er weiß, dass Horst und die Eichenquelle am Leben gehalten werden müssen - und sorgt mit seinen Kumpels daher für etwas "Inszenierung" - neudeutsch gesprochen, wie er selbstironisch hinzufügt. Man könnte auch sagen: Christian von Stern und seine Mitmucker von der Lüneburger Band The Peppones haben ein Potenzial erkannt.

Das Kultpotenzial eines Landgasthauses, in dem die Drei-Liter-Flasche Wilthener Goldkrone neben dem Kasten des Sparklubs hängt, wo die vergessenen Hüte der Schützenbrüder an der Garderobe aufgereiht sind, neben den Obstbränden ein Kalender mit barbusigen Frauen hängt - und an der minzefarbenen Wand der Herrentoilette ein Kondomautomat, Baujahr 1962. Herstellungsort Berlin-Neukölln. Eine Mark kosten zwei Stück des "Prophylaktikums", dem "zuverlässigen Gummischutz". Besser gesagt: kosteten. Denn als die Umstellung zum Euro kam, meinte der Vertreter der Bestückerfirma, der Aufwand würde sich wohl kaum noch lohnen für den Präservativautomaten auf dem Land.

Doch abreißen kann Horst das ausgediente Blechteil auch nicht: "Dann habe ich ja ein Loch in der Wand." Viel länger schon als Christian und Horst lebt Erhard Schumacher in Groß Thondorf. Geboren und aufgewachsen in dem Ort, den er nur zu Bundeswehrzeiten verlassen hat, muss der Gast kein Wort sagen, um seine Bestellung zu bekommen. Ein Nicken reicht, Horst weiß Bescheid.

Erhard Schumacher, der Vater des 33-jährigen André, der mit der Bahn nach Hamburg pendelt und nachmittags neben seinem Vater an Horsts Theke sitzt, weiß der 58-Jährige noch genau, wie wichtig der Kondomautomat für die Landjugend in den 70er-Jahren war. Denn Gummis gab es damals nur beim Bäcker - und in der Eichenquelle. Und die Bäckersfrau war für ihr Tratschen bekannt - viel zu peinlich für pubertierende Jungs, sich mit solch intimen Wünschen an die Dame zu wenden.

Aber selbst der Zug aus dem Automaten war nur bei guter Planung möglich: Ausschließlich für den Toilettengang das Gasthaus zu besuchen kam natürlich nicht infrage. Also wurde eine Cola getrunken, mühsam ein Gespräch geführt, um dann schnell so zu bezahlen, dass das Kleingeld für den Automaten nicht flöten ging.

"Der Automat machte ein lautes Geräusch beim Ziehen", erinnert sich Erhard Schumacher. "Ich habe erst mal geguckt, dass keiner kommt, und dann immer laut gehustet, damit es niemand hört. Was war das peinlich, wenn die Alten dumme Sprüche machten. Aber es war schon vernünftig, dass es damals solche Automaten gab. Gerade auf dem Land."

Und für das anstehende Jubiläumskonzert von The Peppones nach dem Motto "Prophylaktikum-Dance-Tour" hat Horst noch eine Frage an Erhard, da sein Automat schon lange leer ist und er schließlich für angemessene Deko sorgen will: "Wo bekomme ich heute eigentlich Gummis her?"