Kriminelles Dunkelfeld: Niedersachsen startet eine LKA-Studie zu verborgenen Straftaten. 30.000 Bürger werden dafür im Frühjahr befragt.

Hannover. Einmal im Jahr listet die Kriminalstatistik auf, wie gefährlich die Menschen in Deutschland leben, wie häufig Wohnungseinbrüche sind, aber auch Fahrraddiebstähle. Mit der Realität und vor allem mit den subjektiven Ängsten der Menschen hat das Zahlenwerk indes nur wenig zu tun. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) will deshalb jetzt Licht bringen ins sogenannte Dunkelfeld, die Zahl der Delikte und Verbrechen, von denen die Polizei nichts oder nur gerüchteweise weiß. Er kündigte gestern in Hannover an, den vielen offenen Fragen mit einer breit angelegten Studie auf den Grund zu gehen.

Vor fast zehn Jahren hat es im Bundesrat bereits einen Anlauf gegeben, sich auf eine bundesweite und auch breit angelegte regelmäßige Befragung zu verständigen. Das ist gescheitert und Schünemann vermutet, dass einige seiner Innenministerkollegen angesichts erwartbar schlechter Zahlen kalte Füße gekriegt haben: "Das kann Überraschungen geben, und die haben einige Länder gescheut." Weswegen die Bundesrepublik bis heute auf diesem Gebiet weit hinter eigentlich allen anderen westeuropäischen Ländern herhinkt, wie Hartmut Pfeiffer, Leiter Kriminologische Forschung und Statistik des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA), gestern bedauernd feststellte.

Schünemann ist davon überzeugt, dass die anderen Bundesländer nachziehen werden, wenn jetzt einer den Vorreiter macht: "Wir haben uns entschieden, voranzuschreiten, einer muss es machen, es geht um die Schließung einer Erkenntnislücke."

Minister Schünemann geht es konkret darum, die künftige Polizeiarbeit und hier vor allem die Vorbeugung auszurichten an den Schwerpunkten, die sich aus der Studie neu ergeben können. Dafür werden in den kommenden Monaten rund 30 000 Menschen in Niedersachsen befragt, und bereits jetzt ist vereinbart, diese Befragung alle zwei Jahre zu wiederholen. Nur so sei sichergestellt, dass die Polizei eine jeweils aktuelle Grundlage hat für ihre Schwerpunktsetzung bei der Verbrechensbekämpfung wie der Prävention.

Aktuelle Studien mit solchen Befragungen etwa in Großbritannien kommen zu dem Ergebnis, dass das Dunkelfeld noch einmal genauso groß ist wie die Zahl der registrierten Straftaten. Dabei gibt es große Unterschiede im Anzeigeverhalten, der Minister nannte als einen Bereich mit einer besonders hohen Dunkelziffer die häusliche Gewalt. Ähnliches gilt aber auch für Delikte wie Fahrraddiebstahl oder die rasant ansteigende Internetkriminalität sowie andere Bereiche der Wirtschaftskriminalität.

Die Befragung beschränkt sich ausdrücklich nicht darauf, mindestens unter dem Schutz der Anonymität Taten aufzudecken, die nicht angezeigt wurden. Es geht erklärtermaßen auch darum, herauszubekommen, warum die Geschädigten nicht zur Polizei gegangen sind. "Wir können erfahren, ob die Opfer die Taten nicht angezeigt haben, weil sie Angst vor einer Tätergruppierung gehabt haben." Schünemann vermutet, dass Scham und Angst vor neuen Attacken auch die wichtigsten Gründe sind, dass es bei häuslicher Gewalt eine so hohe Dunkelziffer gibt.

Aber es geht nicht nur darum, die "strategische Ausrichtung der Polizeiarbeit" zu überprüfen. Auch Kriminalität verändert sich, und das Ergebnis einer Studie mit konkreten Fragen könnte dazu führen, dass auch die Justiz reagiert auf Neuigkeiten und also per Gesetz Vorgänge zu Straftaten erklärt, die heute noch nicht angemessen geahndet werden. Sowohl die Gesetzgebung der vergangenen Jahre zur Computerkriminalität wie zum Stalking sind Beispiele für eine solche Anpassung des Rechts an die Realitäten. Schünemanns Hoffnung: "Durch die periodische Dunkelfeldstudie erlangen wir ein vollständiges Bild von der Ausprägung der Kriminalität innerhalb der Gesellschaft.

Und es geht auch darum, genauer zu erfahren, wie groß eigentlich die Angst der Menschen ist, Opfer etwa eines Verbrechens zu werden." Solche Erkenntnisse aber bedingen die große Zahl der Befragten, weil die sogenannte "Kriminalitätsbelastung" hoch unterschiedlich ist und zudem hoch unterschiedlich wahrgenommen wird. Die Studie muss also differenzieren zwischen Alter, Geschlecht und anderen Faktoren. Weswegen der Innenminister die 250 000 Euro für die erste jetzt anlaufende Befragung für gut angelegtes Geld hält: "Sich sicher zu fühlen bedeutet Lebensqualität."

Und noch ein Punkt interessiert Schünemann: Bestandteil der Befragung ist ausdrücklich auch, wie die Menschen die Polizeiarbeit beurteilen. Die Antworten sind schon wegen möglicher regionaler Unterschiede in Niedersachsen spannend, aber auch für einen Vergleich zwischen den Bundesländern. Immer vorausgesetzt, des Ministers Einschätzung stimmt und Kollegen in anderen Bundesländern folgen.