Etwa 170 Familienhebammen unterstützen in Niedersachsen junge Eltern mit Problemen. Doch der Bedarf ist noch viel größer.

Buchholz. Christin, wie sie sich nennt, erzählt gern und viel von ihrer Tochter, die an dieser Stelle Jenny heißen soll. Es ist eine schöne Geschichte, wie stolze Mütter sie so erzählen: Was das Mädchen alles kann! Wie süß es ist! Dass es das Leben bereichert. Es ist eine Geschichte, an deren Beginn jedoch Angst und große Unsicherheit dem Stolz keinen Raum gelassen haben. Christin, die südlich von Hamburg lebt, ist 19, ihre Tochter Jenny knapp vier. "Ja, ich bin ziemlich früh Mama geworden", sagt Christin.

Vielleicht, meint sie rückblickend, wäre die Geschichte von ihr und Jenny weniger positiv, hätte ihr das Jugendamt beim zuständigen Landkreis Harburg nicht eine Familienhebamme an die Seite gestellt. Eine Frau, die Angst nimmt. Die Zuversicht gibt. Die Auswege aufzeigt, wo es scheinbar keine gibt. Die nicht den Stempel "Jugendamt" auf der Stirn trägt. Eine Frau wie Renee Huth. Die 47-Jährige aus Bötersheim ist zwar nicht die Frau, die Christin betreut hat. Sie hätte es aber sein können. Nun treffen sich beide bei einer Tasse Tee zu einem Erfahrungsaustausch. "Familienhebammen sind echt klasse", platzt es aus Christin heraus. Renee Huth lächelt milde. Seit 20 Jahren arbeitet sie als Hebamme , seit Kurzem nennt sie sich auch Familienhebamme. 220 Frauen in Niedersachsen haben diese Weiterbildung bislang durchlaufen, die von der Stiftung "Eine Chance für Kinder" in Hannover angeboten wird. Deren Kuratoriumsvorsitzender Adolf Windorfer schätzt, dass derzeit 170 im Einsatz sind. Unterwegs sind sie in Diensten unterschiedlicher Träger in landesweit 42 Kommunen. In Harburg koordinieren die Quäker-Häuser die Einsätze. "Unser Ziel ist, das Netz flächendeckend auszubauen", sagt Windorfer. 400 Hebammen würden gebraucht.

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Aus einer Bilanz, in der die Stiftung den Erfolg der Familienhebammen in 15 Städten und Landkreisen - darunter auch Harburg - in Zahlen gefasst hat, geht hervor: Im Jahr 2011 hatten durchschnittlich drei Prozent aller Eltern Neugeborener eine Familienhebamme an ihrer Seite. "Tatsächlich sind es zehn Prozent, die diese frühen Hilfen gebrauchen könnten", schätzt Windorfer. Die Arbeit zahlt sich messbar aus, auch das geht aus der Bilanz hervor. So nahmen dem Zahlenwerk zufolge 59 Prozent der betreuten Familien die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht in ausreichendem Maße wahr. Und 30 Prozent der Eltern zeigten "einen ausgeprägten Mangel an erforderlicher Zuwendung". Bei jeweils fast 70 Prozent dieser Personengruppen registrierten die Helferinnen am Ende der bis zu einjährigen Betreuungszeit eine Verbesserung der Situation. Auch körperliche und motorische Defizite bei Babys verbesserten sich in etwa 80 Prozent der in diesem Punkt problematischen Fälle. Außerdem wurden Eltern sensibler etwa für gesunde Ernährung, Zahnpflege und Vorsorgeuntersuchungen.

Ein ganz wichtiges Thema: die Wohnung. "Zigarettenrauch zum Beispiel", sagt Hebamme Renee Huth, "kann das Kindeswohl gefährden. Und wenn ein Baby kein Bettchen hat, ist das auch nicht gerade gut." Dann versucht sie, Einsicht zu erzeugen. Und gibt Tipps, wo weitere Hilfe geboten wird. Etwa jeder zweite Einsatz wird vom Jugendamt vermittelt. Alle anderen Klienten melden sich selbst - und bleiben fürs Jugendamt anonym. Renee Huth erkennt es sofort, wenn Eltern in ihrer neuen Rolle überfordert sind. "Das fühlt sich irgendwie noch nicht so richtig gut an. Und die Eltern sagen das auch selbst." Eltern wie Christin. "Das Baby weinte, und ich fragte: Warum bist du denn so quakig?" Keine Antwort. "In solchen Fällen konnte ich meine Familienhebamme anrufen, die einen Rat wusste." Oft sogar eine Antwort.

Die heute 19-Jährige vereint fast alle Merkmale der klassischen Durchschnittsklientin: 53 Prozent der betreuten Mütter waren jünger als 22, zehn Prozent jünger als 17. 33 Prozent hatten keinen Schulabschluss, 70 Prozent keine Berufsausbildung. Und 31 Prozent waren alleinerziehend. Worauf Christin stolz ist: Ihren Hauptschulabschluss hat sie inzwischen nachgeholt. "Ja, da habe ich vielen Leuten Verblüffung ins Gesicht gezaubert", sagt sie. Es klingt triumphierend. Nun will die junge Frau, die mit ihrer Tochter zurzeit in einem Mutter-Kind-Haus lebt, auch das Thema Ausbildung in Angriff nehmen. Das niedersächsische Sozialministerium fördert die Stiftung "Eine Chance für Kinder" allein in diesem Jahr mit 260.000 Euro. Den Einsatz der Hebammen zahlen die örtlichen Jugendämter. Der Landkreis Harburg hat nach den Worten eines Sprechers im Jahr 2011 rund 154.000 Euro dafür ausgegeben.