Dramatische Entwicklung: Studie sieht Mangel an Sozialwohnungen. Niedersachsen erhöht Fördermittel, Hamburg kritisiert Zahlenwerk.

Hannover/Kiel/Hamburg. Seit Jahrzehnten fallen immer mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung. Niedersachsen reagiert auf den wachsenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen jetzt mit einer Aufstockung der Förderung um zehn Millionen auf dann knapp 50 Millionen Euro im Jahr. Das zuständige Sozialministerium bestätigte gestern entsprechende Pläne ausgerechnet an dem Tag, als das Pestel-Institut in der Landeshauptstadt eine Studie zur dramatischen Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus quer durch alle Bundesländer vorlegte. Danach fehlen bundesweit rund vier Millionen Sozialwohnungen, der Bestand ist kontinuierlich abgeschmolzen auf nur noch 1,5 Millionen Einheiten. Das Institut warnt: "Deutschland hat eine neue Wohnungsnot, insbesondere in den Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich zugespitzt."

Folgerichtig ist die Diskussion über sozialen Wohnungsbau in der Metropolregion Hamburg schon lange ein Dauerbrenner. Allein im laufenden Jahr fördert der Senat mit 100 Millionen Euro den Bau von 2000 Sozialwohnungen.

Nun aber steigt der Handlungsbedarf laut Pestel-Institut auch in den drei norddeutschen Flächenländern. Empfohlen wird der Politik hier, sich auf die wieder wachsenden Ballungsräume zu konzentrieren und auf bestimmte Gruppen: "Sonst wird das Wohnen für immer mehr Menschen wie Rentner, Familien und Beschäftigte mit geringem Einkommen unbezahlbar."

Im Grundsatz sprachen sich gestern alle Parteien im Landtag in Hannover für die Aufstockung der Mittel durch das Sozialministerium aus. Aus Sicht der Oppositionsfraktionen aber tut Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) nur einen überfälligen und viel zu kleinen Schritt. "Das ist Augenwischerei", sagte der SPD-Abgeordnete Marco Brunotte und wies darauf hin, dass bei einer Maximalförderung von 60 000 Euro je Wohneinheit die Aufstockung der Fördermittel gerade einmal ausreiche, um rund 170 neue Wohnungen zu bauen.

+++ Wohnungsnot: Familie bietet 3000 Euro für Tipp +++

Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ) rechnete dazu vor, die Quadratmeter-Kaltmiete liege bei Neubauten in der Region Hannover inzwischen bei durchgängig zehn Euro. Das Ministerium strebe an, durch das Wohnungsbauprogramm bei den geförderten Wohnungen die Miete auf 5,40 Euro bis 6,50 Euro zu begrenzen. Hannover gilt auch deshalb weit vor den anderen großen Städten des Landes als Problemfall, weil die Landeshauptstadt die höchste Zahl an Einpersonenhaushalten bundesweit hat, die Nachfrage entsprechend die Mietpreise treibt.

In Hamburg fehlen laut Studie rund 110 000 Sozialwohnungen. Nur jeder zweite finanzschwache Haushalt in Hamburg habe die Möglichkeit, eine Sozialmietwohnung zu bekommen, heißt es. Das Institut hat ausgerechnet, dass Hamburg rund 218 000 Sozialwohnungen braucht, um den Bedarf zu befriedigen. Die Wohnungsbaubehörde erklärte, die Studie sei eine "Milchmädchenrechnung". Es sei nicht möglich, aus der Gegenüberstellung von Wohngeldempfängern nebst Schätzungen der Haushalte mit niedrigen Erwerbseinkommen und der Zahl der Sozialwohnungen Rückschlüsse auf die Versorgungssituation zu ziehen. "In Hamburg müssen insbesondere die Bestände der städtischen Gesellschaften Saga GWG berücksichtigt werden", sagte Behördensprecherin Kerstin Graupner.

In Auftrag gegeben wurde die Pestel-Studie von einer Wohnungsbau-Initiative, hinter der neben Mieterbund und Gewerkschaft auch die Bauwirtschaft steht sowie die Verbände der Architekten und Bauingenieure und der Baustoffhandel. Der Handlungsbedarf ist unbestritten, weil zwar die Bevölkerungszahl insgesamt abnimmt, die Ballungszentren aber gegen diesen Trend Zuzüge und eine höhere Geburtenrate verzeichnen. Im Gegenzug trifft der demografische Wandel ländliche Regionen besonders stark, dort ist mit mehr Leerständen zu rechnen.

+++ In Norddeutschland fehlen rund 85.000 Sozialwohnungen +++

Ein Beispiel: Um 6,5 Prozent oder umgerechnet 505 000 Menschen wird Niedersachsen laut Prognose bis 2030 schrumpfen - aber in der Stadt Salzgitter und den Landkreisen Goslar, Helmstedt, Northeim und Hildesheim wird der Rückgang über 25 Prozent betragen.

Die Schräglage zwischen Ballungsgebieten und ländlichem Raum ist in allen Flächenländern ähnlich. Aber der in Schleswig-Holstein für Wohnungsbau zuständige Innenminister Andreas Breitner warnt vor Panikmache: "In Schleswig-Holstein droht keine neue Wohnungsnot". Den in der Studie geforderten Neubau von 85 000 weiteren Sozialwohnungen nennt er "nicht nach-vollziehbar". Die vom Land eingesetzten Mittel reichen aus seiner Sicht aus, um Wohnungen mit auslaufender sozialer Bindung zu ersetzen.