In Dithmarschen beginnt jetzt die Kohlernte. Und eine Festwoche, die dem grünen Gemüse gewidmet ist

Friedrichsgabekoog. Ein bisschen eigen sind sie ja, die Dithmarscher, aber mit ihrem Kohl und der unglaublich großen Zahl der Vermarktungsideen höchst erfolgreich. Jetzt steht in dem Landstrich an der Westküste wieder die Zeit an, in der sich 220 Kohlbauern anderthalb Monate lang um 80 Millionen Kohlköpfe kümmern. So groß ist die Ernte, wie Kreissprecher Bernhard von Oberg mitteilte.

Einer der Kohlbauern ist Jens Schütt, landwirtschaftlicher Betriebsleiter vom Bioland Westhof in Friedrichsgabekoog. Der Mann hat eine extralaute Stimme, die kein Telefon braucht, ist dort verantwortlich für immerhin 2,5 Millionen Kohlköpfe und mit dem staubtrockenen Humor der Dithmarscher ausgestattet. "Die Arbeit - auch mit der Kohlernte - geht wie jeden Tag erst morgens um halb sieben los, wir suchen den Kohl ja nicht mit der Taschenlampe", sagt er.

Mitte September wird nicht nur Deutschlands 2800 Hektar große Kohlkammer geöffnet, sondern auch gefeiert, was die Dithmarscher mindestens genauso gut können wie das Züchten des Kohls. Dazu haben sie sich die Prinzipien süddeutscher Weinfeste abgeguckt und im Jahr 1986 die "Dithmarscher Kohltage" sowie ein neues Image erfunden. Kohl wurde von einem Notessen zu einem bodenständig-delikaten und auch sportlich-gesunden Nahrungsmittel entwickelt.

Eine Woche lang dreht sich in Dithmarschen (Werbung: "Das letzte Abenteuer Europas") alles um das Gemüse mit Bauernmärkten, Tombola, Backaktionen, Pyramidenbaumeisterschaften, Heimatabenden, Oldtimer-Treffen, Stadtfesten, Kohl-Bingo, Flohmarkt, Tanz, großen Kohl-Büfetts und vielen Kohlspeisen. Die stolzen Dithmarscher werden dazu wieder auch ihre besonders schmucken historischen Trachten anlegen.

Der Besuch der Dithmarscher Kohltage lohnt sich. Wie wichtig dies alles ist, zeigt der "Kohlanschnitt", zu dem auch der schleswig-holsteinische Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume, Robert Habeck, der Kreispräsident Karsten Peters und die Kohlregentinnen Rieke I. und Katharina I. in die winzige Gemeinde Zennhusen kommen. Das wird am 18. September sein. Zum Erntefest in diesem Jahr laden die Dithmarscher zum 26. Mal ein, es läuft im gesamten Kreis vom 18. bis 23. September.

Die Erntemengen bewegen sich nach Angaben der schleswig-holsteinischen Landwirtschaftskammer auf Durchschnittsniveau. Da die Bauern für ihre Ware etwas mehr bezahlt bekommen als im Vorjahr, würden sie kostendeckend arbeiten, sagte Kammersprecherin Daniela Rixen.

Die wichtigste Kohlart ist traditionell der Weißkohl mit 85 Prozent der Anbaufläche, gefolgt von Rotkohl, Blumenkohl und Wirsing. Nur ein kleiner Teil des Gemüses wird direkt vom Feld an die Salatfabriken und Händler geliefert. Rund 80 Prozent der Kohlköpfe werden eingelagert und bis zur nächsten Ernte europaweit vermarktet, sagte Kreissprecher von Oberg: Die Kühllager im Kreis Dithmarschen fassen 125 000 Tonnen Kohl, dazu kommen "normale" Lager für weitere 30 000 Tonnen des Gemüses.

Dithmarschen wurde gegen Ende der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts zum Zentrum des deutschen Kohlanbaus ausgebaut. Bis dahin war die Ackerwirtschaft dort von Rüben- und Getreideanbau dominiert.

Diese Entwicklung war von der Eisenbahn entscheidend geprägt worden. Das verkehrstechnisch eher abseitig gelegene Dithmarschen wurde im Jahr 1880 durch die Marschbahn an das deutsche Eisenbahnnetz angeschlossen. Mit der neuen Verkehrsanbindung konnte man nun Kohl zu marktfähigen Preisen in die deutschen Ballungsgebiete liefern. In der Wesselburener Gegend stellten Großgärtner einige ihrer Ackerflächen auf Zuchtformen des Wildkohls (Brassica oleracea) um.

Der Erfolg gab ihnen recht. Wurden 1894 lediglich 900 Tonnen Kohl in Dithmarschen produziert, so waren es kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs fast 100 000 Tonnen. Bis heute konnte der Landstrich seine herausragende Stellung mit dem Gemüse, das anderswo "Kappes" heißt, behaupten.