Jungdesignerin Vivien Schlüter aus Oldenburg entwirft Mode für Behinderte. Die Nachfrage steigt

Oldenburg. Wenn die Zeit drängt, schließt sich Vivien Schlüter mit einer Familienpackung Kaffee in ihr Atelier ein. Manchmal mehrere Wochen lang. Denn Abgabefristen lassen sich in ihrer Branche nur selten verschieben. Doch bevor die Modedesignerin aus Oldenburg zu Nadel und Faden greift, gönnt sie sich einen Moment der Ruhe auf einem Holzstuhl in der Mitte des Raumes. Ihre Beine hält sie still, stattdessen lässt sie ihre Arme durch die Luft kreisen.

Mit den ungewöhnlichen Bewegungen will sie sich in die Lage ihrer Auftraggeber versetzen - denn ihre Kunden sitzen im Rollstuhl. Kleidung für körperlich Behinderte zu schneidern, sei eine Herausforderung, sagt die 33-Jährige. "Bei Rollstuhlfahrerinnen müssen die Röcke angeschrägt werden, damit sie nicht in die Speichen kommen", erklärt sie. Außerdem müsse darauf geachtet werden, die Ärmel von Oberteilen für die nötige Bewegungsfreiheit nicht zu eng zu nähen. Vivien Schlüter ist Autodidaktin und selbst erklärte Chaotin. Vor acht Jahren hat sie angefangen, sich ihr Handwerk selbst beizubringen. Ihre Kleidung, die vor allem für Frauen gedacht ist, bezeichnet sie als sexy, rockig und selbstbewusst. Die erste Modenschau veranstaltete sie damals in einem alternativen Jugendzentrum.

Inzwischen führen sie ihre Reisen auch zu Wettbewerben und Weiterbildungen ins Ausland. Für die Zukunft hat Schlüter große Pläne. "Ich möchte es irgendwann einmal über den großen Teich schaffen", sagt sie selbstbewusst.

Unterstützung bekommt sie von der 24-jährigen Sara Capobianco aus Ibbenbüren. Seitdem die Rollstuhlfahrerin im Internet auf die Designerin stieß, stehen sie in engem Kontakt. Beide sind von der gleichen Idee fasziniert: einer eigenen Modenschau für Rollstuhlfahrer in Deutschland. "Das würde auch Anderen die Motivation geben, mehr zu sich zu stehen", sagt die an Multipler Sklerose leidende junge Frau, die für ihre Freundin auch über den Catwalk fahren würde.

Die Nachfrage wächst langsam, der potenzielle Markt ist groß. In Deutschland leben rund 7,1 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung - das Statistische Bundesamt erhebt lediglich die Gesamtzahl der Menschen mit Handicap. Nach dem Grad der Behinderung wird nicht unterschieden. Daher kann die Zahl der Rollstuhlfahrer in Deutschland nur geschätzt werden. Freumuth zufolge liegt sie bei rund 1,5 Millionen.

Diese Gruppe für ihre Mode zu gewinnen, sei nicht immer ganz einfach, sagt Schlüter, bevor sie an ihrem Kaffee nippt. Sie glaube aber, dass es künftig immer mehr Rollstuhlfahrer geben werde, die sich sowohl modern als auch funktional kleiden wollen.