Lippegans, Vorwerkhuhn, Brillenschaf und Buntes Bentheimer Schwein - in der Arche-Region an der Elbe leben 50 bedrohte Nutztierrassen.

Bitter. Gerd Stämmerling sieht Artenschutz ganz pragmatisch: Schafe sind Rasenmäher. Und wenn schon Schaf, warum dann kein im Bestand bedrohtes? "Wir haben so viel Land, das will schließlich gemäht sein", sagt der freundliche Mann auf die Frage, warum er vom Aussterben bedrohte Brillenschafe hält. Gerd Stämmerling ist einer von 80, die sich in der "Arche-Region" Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue engagieren.

"Schützen durch nutzen" lautet das Motto der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. - oder besser: erhalten durch aufessen. Der Verein setzt sich in Biosphärenreservaten in ganz Deutschland für den Erhalt gefährdeter Nutztierrassen ein. Denn nicht nur Wildpflanzen und Wildtiere sind bedroht, wenn Landwirtschaft zu intensiv betrieben wird, sondern auch Tiere, die nicht mehr zu den heutigen Hochleistungsrassen gehören. 55 gelten deutschlandweit als extrem oder stark gefährdet - unter ihnen das Brillenschaf.

+++ Ausflug in die Arche +++

Und das Rauwollige Pommersche Landschaf, das dem Initiator der neuzeitlichen Arche, Hartmut Heckenroth aus Langenhagen, noch wichtiger ist als das Brillenschaf. "Das Brillenschaf gehört ursprünglich nach Kärnten. Mir sind die regional verwurzelten Rassen aber besonders wichtig, in Norddeutschland etwa das Pommersche Schaf, das Vorwerkhuhn aus Hamburg, der Sperber oder die Diepholzer Gans."

Heckenroth sieht in der Erhaltung alter Rassen nicht nur eine biologische Notwendigkeit zur Erhaltung des Genpools, sondern auch eine moralische und kulturelle Verpflichtung: "Es heißt nicht umsonst Kulturlandschaft. In diese vom Menschen mitgestaltete Landschaft gehören die alten Rassen hinein wie alte Kathedralen, die wir ja auch erhalten. Wir dürfen nicht immer nur an die wirtschaftlichen Aspekte denken."

So können viele der auf der Roten Liste verzeichneten Nutztiere zwar den Anforderungen der spezialisierten Landwirtschaft nicht gerecht werden, eignen sich aber bestens als Fleischlieferanten der vorzüglichen Art - wie das Bunte Bentheimer Schwein - oder eben als Landschaftspfleger wie die lebenden Rasenmäher von Gerd Stämmerling.

Vor 21 Jahren ist Stämmerling von Bergedorf "rüber" nach Sückau gezogen, weil es dort mehr Platz gab als am Rand der Metropole. Sückau besitzt eine Haupt- und eine Ringstraße und liegt mitten im grünen Land zwischen Boizenburg und Neuhaus rechts der Elbe - der Seite, die bis 1989 zur DDR gehörte und seit zehn Jahren durch die Regeln des Unesco-Biosphärenreservats besonders geschützt und entwickelt wird.

Dort, hinter Stämmerlings Werkstatt, laufen neben den Brillenschafen mit den dunklen Flecken um die Augen auch diverse Exemplare des Deutschen Sperberhuhns und der Lippegans übers Gelände, allesamt Rote-Liste-Rassen.

Ein Dorf weiter, in Dellien, hält der zertifizierte Öko-Landwirt Hans-Jürgen Niederhoff nicht nur Rauwollige Pommersche Landschafe und Thüringer Waldziegen. Selbst Hofhund Bruno ist ein Arche-Tier: "Der Großspitz gehört zu den gefährdeten Rassen."

In der "Arche-Region" halten mehr als 80 Menschen 50 Rassen der Roten Liste. Um über ihr Anliegen zu informieren und andere dafür zu sensibilisieren, haben die Initiatoren der zeitgenössischen Arche zahlreiche Veranstaltungen geplant, viele davon noch im Spätsommer und Herbst.

So findet in Dellien am zweiten Sonntag im Oktober ein Herbstspaziergang durch die Sudewiesen statt, das ist das Grünland rund um das Flüsschen Sude, das von Heckrindern ("Auerochsen") und Koniks (Wildpferden) beweidet wird. Die Rassen sind zwar nicht vom Aussterben bedroht, helfen aber, andere bedrohte (Wild-)Tiere zu erhalten: Weiß- und Schwarzstorch, Knäkente, Wachtelkönig, Kiebitz, Bekassine und Braunkehlchen.

In der Gegend kauft die Stiftung Stork Foundation seit 1994 Ackerland an und verwandelt es in halb offene Weidelandschaften. Sie schafft Gewässer, will die Sommerdeiche öffnen und auf diese Weise die einst entwässerten Flächen wieder feuchter werden lassen, damit Storch & Co. genügend Regenwürmer, Insekten und Frösche zum Fressen finden.

Auf die Kooperation von Landwirten sind Heckenroth und sein Team angewiesen - und da schließt sich der Kreis der Artenschützer an der Elbe: Hans-Jürgen Niederhoff hält nicht nur Thüringer Waldziegen, Pommersche Landschafe und einen Großspitz, er besitzt auch eine Herde Heckrinder und eine Herde Koniks. Letztere eher aus Spaß, sagt er, denn verkaufen kann er nur ganz selten eins - die zurückgezüchteten Auerochsen allerdings häufiger, wenn auch nicht oft. Denn sie sind teuer, vielen Gastronomen zu teuer.

In Dellien aber gibt es auf dem Hof Niederhoff Fleisch und Wurst vom Heckrind. Und wer das Bunte Bentheimer Schwein probieren möchte, kann das in Stiepelse direkt am Elbufer schräg gegenüber von Bleckede im Wiesenhof-Café tun oder in Vockfey gegenüber von Neu Darchau im Biohof - und bei einem Tagesausflug Artenschutz mal ganz pragmatisch probieren: erhalten durch aufessen.