Auch 25 Jahre danach sind die Umstände von Uwe Barschels Tod ungeklärt. Die Geschichte um den CDU-Politiker im Fall “Waterkantgate“.

Kiel. Der größte Politikskandal in der Geschichte der Bundesrepublik begann an einem Sonnabend: Es war der 12. September 1987, als das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" den Journalisten in Kiel als Vorabexemplar frei Haus geliefert wurde. "Barschels schmutzige Tricks" lautete die Titelzeile am Tag vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Diese Zeile machte eine Affäre bekannt, über die Regierungschefs und Kanzlerkandidaten stolpern sollten.

Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) gab nur fünf Tage später sein Ehrenwort, dass nichts dran sei an den Vorwürfen, er habe mit seinem Medienreferenten Reiner Pfeiffer versucht, Gegenspieler Björn Engholm zu bespitzeln, um ihn zu diskreditieren.

+++ Neue Beweise, neue Theorien +++

Nur eine Woche später trat der 43-jährige Barschel unter wachsendem Druck auch aus den eigenen Reihen zurück - am 11. Oktober wurde er tot in der Badewanne seines Zimmers im Genfer Hotel Beau Rivage gefunden. Das Foto des Toten in der Badewanne, gemacht von einem Reporter der Zeitschrift "Stern", ging um die Welt.

Ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Kiel sprach Barschel nur wenige Monate später schuldig, Kronzeuge war sein Mittäter und Medienreferent Pfeiffer. Bei der Neuwahl des Landtags im Mai 1988 schnellte die SPD auf über 56 Prozent, die langjährige Regierungspartei CDU stürzte ab auf 33 Prozent, es sollte fast 20 Jahre dauern, ehe sie mit Peter-Harry Carstensen als Ministerpräsident in die Regierungsverantwortung zurückkehrte.

Wer in den ersten Jahren nach Barschels Tod Zweifel an der Selbstmordversion äußerte, galt als spinnert. Erst die "Schubladenaffäre" im Jahr 1993 führte zu einem Stimmungsumschwung. Der damalige SPD-Landesvorsitzende und Sozialminister Günther Jansen hatte dem früheren Medienreferenten Pfeiffer über 40 000 Mark zukommen lassen. Angeblich hatte er im Alleingang so entschieden und das Geld daheim in der Schublade gesammelt. Im Zuge dieser Affäre stellte sich heraus, dass Björn Engholm 1987 Wissen über Pfeiffers Machenschaften als Zeuge im Untersuchungsausschuss verschwiegen und damit also gelogen hatte - er trat als Ministerpräsident, SPD-Bundesvorsitzender und aussichtsreicher Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 1994 zurück.

Ein neuer Untersuchungsausschuss kam, als er sich noch einmal mit der sechs Jahre zurückliegenden Affäre beschäftigte, in Teilbereichen zu neuen Ergebnissen: Mindestens in Teilen könnte es auch so gewesen sein, dass Pfeiffer Alleintäter war und dann Spuren gelegt hatte in Richtung Barschel.

Damit aber stellte sich die Frage, ob Barschels Rücktritt und vor allem die aus der Schwere der Vorwürfe abgeleitete ausweglose Lage als Grund für seinen Freitod wirklich alternativlos war. Unzählige Bücher sind erschienen und die meisten saugten Honig für ihre Mordthese aus den schier unglaublichen Fehlern, Pannen und Versäumnissen der Justiz sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland bei der Aufarbeitung der Vorgänge im Genfer Edelhotel Beau Rivage. Die Tatortaufnahme war grob mangelhaft, die Obduktion oberflächlich, die Kommunikation mit der in Deutschland für das Todesermittlungsverfahren zuständigen Staatsanwaltschaft Lübeck miserabel.

+++ Doch Mord? Neue Spur im Fall Barschel +++

Und eben die Lübecker Staatsanwaltschaft wurde über Jahre von der SPD-Landesregierung massiv gehindert, eigene Ermittlungen anzustellen. So zumindest schilderte es im vergangenen Jahr nach seiner Pensionierung der langjährige Leiter der Behörde, der Leitende Oberstaatsanwaltschaft Heinrich Wille - selbst Sozialdemokrat. Ob nun Waffenschiebereien, Verbindungen zu Stasi oder wahlweise dem Mossad oder der Mafia, solche und viele weitere denkbare Gründe für ein Mordkomplott konnten wuchern. Staatsanwalt Wille zumindest gab seinem Buch einen Titel, der seinen Frust nicht verbarg: "Der Mord, der keiner sein durfte". Hinzu kamen gegensätzliche Gutachten etwa zu der wichtigen Frage, ob Barschel den letztlich tödlichen Medikamentencocktail überhaupt allein hätte zu sich nehmen können. 1998 hat Wille das Todesermittlungsverfahren nach langem Drängen seiner Vorgesetzten eingestellt. Das damalige Fazit galt bis zu diesem Wochenende: "Die zunächst entscheidende Frage, ob es sich bei dem Todesfall um Mord, Totschlag oder Selbstmord handelt, muss nach dem Ergebnis der Ermittlungen offenbleiben."

Nun aber stellt sich die Frage, ob die jetzt vom Landeskriminalamt in Kiel gefundenen genetischen Fingerabdrücke an mehreren Kleidungsstücken von Uwe Barschel vom Tatort der Justiz die Chance geben, diese Frage doch noch zu klären. Willes Nachfolger als Behördenleiter in Lübeck ist der Leitende Oberstaatsanwalt Thomas-Michael Hoffmann. Und der winkte auf Anfrage der "Welt am Sonntag" an diesem Wochenende bereits ab: "Prozessrechtlich können wir beim gegenwärtigen Stand der Dinge nichts weiter unternehmen." Seine Begründung dafür: "Die Untersuchungsergebnisse bieten keine zureichenden Anhaltspunkte, die es erlauben, eine Linie zu eventuell tatverdächtigen Personen zu ziehen."

Unabhängig aber davon, ob das so stimmt, wird der Fall Uwe Barschel, auch "Waterkantgate" genannt, weiter Schlagzeilen machen: Am 11. Oktober jährt sich Barschels Tod zum 25. Mal.