Der Landkreis lässt künftig die Bürger über eine Kommunikationsplattform per Internet mitbestimmen. Die Technik kommt von der Piratenpartei.

Jever. Über Ostern hatte der friesische Landrat Sven Ambrosy zwei freie Tage und hat Frau und Kinder genervt. Statt sich auf die Suche nach Ostereiern zu konzentrieren, brütete er über der Frage, wie man die Bürgerbeteiligung im Landkreis noch verbessern könnte. Ob er mit "LiquidFriesland" nun das Ei des Columbus gefunden hat, lässt er offen, aber das Resultat kann sich sehen lassen. Vor Wochenfrist hat der Kreistag in Jever das Ergebnis seiner österlichen Grübelei einstimmig abgesegnet: Als erster Landkreis überhaupt in Deutschland wird Friesland nach dem Vorbild der Piratenpartei das Programm "LiquidFeedback" nutzen, also eine Kommunikationsplattform im Internet, damit wirklich jeder Einwohner zu jedem Problem und jedem Projekt seinen Senf dazugeben kann.

Eigentlich hat der Landkreis an der Nordsee mit nur 100 000 Einwohnern in acht Kommunen, die Insel Wangerooge bereits eingeschlossen, keine schwerwiegenden Kommunikationsprobleme. Man kennt sich, ist stolz auf die Küstenlage und einig in der genussvoll betriebenen Abgrenzung von den benachbarten Ostfriesen.

Aber der Sozialdemokrat Ambrosy hat in den vergangenen Jahren eben auch die Erfahrung gemacht, wie wichtig frühzeitige Einbindung möglichst vieler Menschen ist, wenn es um Großprojekte etwa beim Deichbau geht: "Für uns ist das Projekt kein Allheilmittel und keine Revolution, aber eben doch ein neuer Weg." Auf dem der Landrat, wie er im Gespräch mit dem Abendblatt erläuterte, vor allem die jüngere Generation erreichen will. "Die Älteren schreiben Briefe, rufen auch mal an und kommen zu öffentlichen Sitzungen der Kommunalparlamente, aber da sehe ich eigentlich nie junge Leute. Das mag man beklagen oder nicht, aber ich will es ändern."

Erklärtes Ziel ist es, den "LiquidFriesland" getauften neuen Kommunikationskanal einzubinden in bestehende demokratische Strukturen. Dafür hat der Kreistag eigens mehrere Paragrafen seiner Satzung geändert, sodass künftig nicht nur schriftlich eingereichte, sondern auch über das Internet verfasste Anregungen Basis für die Befassung in den Gremien werden können. Und wenn im Internet das auch sonst notwendige Quorum von zehn Prozent Zustimmung erreicht wird, dann gilt wie bei den schon jetzt möglichen Bürgerbefragungen, dass Kreistag und Ausschüsse sich damit auseinandersetzen müssen. Nutzer von LiquidFriesland können Anträge stellen, aber nicht nur gut oder schlecht anklicken, sondern auch Ergänzungsvorschlage machen oder Alternativen skizzieren."

Entwickelt und auf die Bedürfnisse des Landkreises zugeschnitten wird die Software von Mitgliedern der Piratenpartei, die sich im Verein interaktive Demokratie e.V. zusammengeschlossen haben. "Wir wollen ein Abstimminstrument, das die Kreispolitik um die Meinung der Bürger bereichert", umschreibt Ambrosy das ehrgeizige Ziel. Im November soll es losgehen und bis dahin ist eine Menge zu tun. Eben weil es nicht darum geht, ein weiteres Portal zu schaffen, das dann überläuft, wird "LiquidFriesland" transparent auch dadurch, dass jeder Bürger im Kreis mitmachen kann. Und zwar unter dem Klarnamen statt mit den beliebten Pseudonymen auf solchen Plattformen. "Donald Duck 27 wird es nicht geben", sagt Ambrosy.

+++ Friesland lässt Bürger mit "LiquidFeedback" abstimmen +++

Obwohl mindestens auf den ersten Blick "LiquidFriesland" die bisherige Alleinstellung des Kreistages ankratzt, hat das Gremium einstimmig für das Projekt votiert. Und es gibt eine "Selbstverpflichtung", die Landrat und Abgeordnete darauf festlegt, nicht an Abstimmungen im Internet teilzunehmen. Knapp 10 000 Euro kostet das Pilotprojekt im ersten Jahr, vergleichbare Programme wären laut Ambrosy nicht unter 60 000 Euro zu haben gewesen.

"LiquidFriesland ist ein spannendes Experiment", sagt Ambrosy und verweist als Beispiel auf die Notwendigkeit, den Kindergartenbedarfsplan zu diskutieren: "Das klingt auf den ersten Blick nicht sexy, ist aber ein Thema, das ganz viele Menschen beschäftigt und wo es sich um 17 000 Kinder dreht." Und auch der Ausbau eines Radweges ("rechts oder links oder auf beiden Seiten?") hält er für Internet-geeignet.

Ganz grundsätzlich ist Ambrosy überzeugt, dass der Zeitgeist mit ihm ist: "In Zeiten der Globalisierung wird Heimatverbundenheit für die Menschen immer wichtiger, da geht es um Emotionen."