Auf dem Gelände der Marineversorgungsschule ist das “Nordsee College“ gescheitert. Kritiker sagen: List hat sich über den Tisch ziehen lassen

List. Ein Prestigeprojekt auf Sylt steht vor dem Aus. Die Einwohner sind darüber überaus besorgt, der Bürgermeister von List zeigt sich um Gelassenheit bemüht: In dieser Woche verkündete Wolfgang Strenger in einer kurzfristig angesetzten Gemeindevertretersitzung das Scheitern des in List auf Sylt geplanten Internats. "Für Sie ist das vielleicht spannend, für uns ist es völlig entspannt", versuchte er die rund 70 erschienenen Bürger zu beruhigen. Die fürchten, dass mitten in ihrem Dorf anstatt der geplanten Privatschule nun doch Ferienwohnungen und Hotels entstehen. Und warum? Wegen ausbleibender Landesbürgschaften und Sturmschäden an der Baustelle. Sie bescherten den Internatsgründern angeblich eine Finanzierungslücke von "mehreren Millionen Euro".

Vor fünf Jahren hatte der Hamburger Unternehmer Philipp Graf von Hardenberg die Idee eines "Nordsee Colleges" auf dem nach Abzug der Bundeswehr leer stehenden Gelände der Marineversorgungsschule in List vorgestellt. Für 2,2 Millionen Euro kaufte eine um ihn versammelte Investorengruppe das 15 Hektar große Areal im Herzen des Ortes von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Ein echtes Schnäppchen, zumindest wenn man von der vertraglich festgeschriebenen Nutzungsbindung "Bildung und Forschung" absieht: Laut Bodenrichtwerttabelle des Kreises Nordfriesland aus dem Jahr 2010 liegt der Quadratmeterpreis um das Areal bei mindestens 570 Euro.

Warnungen, dass es bei dem Projekt nicht um Schüler, sondern um einen gigantischen Grundstücksdeal gehen könnte - man lässt das Internat kontrolliert scheitern und verhandelt dann über eine gewinnträchtigere Folgenutzung -, fanden kein Gehör. Zu groß war in List die Freude darüber, eine Alternative zu immer noch mehr Gästebetten gefunden zu haben.

Im vergangenen Jahr forderten Banken der Investoren plötzlich weitere Nutzungsrechte für den Fall, dass die angestrebte Schülerzahl von 460 nicht erreicht wird. Die Gemeinde ging, mit dem Segen des früheren Kieler Innenministers Klaus Schlie, darauf ein. Sie genehmigte für den Fall, dass das Internat nach drei Betriebsjahren nicht funktioniere, den Bau von 282 Wohnungen in den Kasernengebäuden. Dies zwar mit dem Zusatz, dass es sich um inselweit dringend benötigten Dauerwohnraum handeln müsse, aber jeder Sylter kennt die melderechtlichen Tricks, mit denen als Erstwohnsitz gebaute Häuser zu lukrativen Ferienwohnungen werden.

Hardenberg reagiert auf derartige Unterstellungen höchst ungehalten. Diese kommen vor allem aus Westerland, das sich 2009 mit Rantum und den Ost-Dörfern Tinnum, Keitum, Munkmarsch, Archsum und Morsum zur Gemeinde Sylt zusammenschloss und in den selbstständig gebliebenen Orten List, Kampen, Wenningstedt und Hörnum kritisch beäugt wird. Aus der Großgemeinde saßen bei der Sitzung gleich mehrere Lokalpolitiker in den Zuschauerreihen und machten ihrem Ärger später Luft. Der Westerländer CDU-Gemeindevertreter Kay Abeling sagt: "Die Lister und mit ihnen die ganze Insel sind an der Nase herumgeführt worden." Der ebenfalls aus Westerland stammende Gerd Nielsen (SPD) ist der gleichen Meinung: "Für mich war das Projekt von Anfang an nicht umsetzbar. Wahrscheinlich haben die Investoren deshalb auch die Machbarkeitsstudie, nach der wir Herrn Hardenberg gefragt hatten, gar nicht erst in Auftrag gegeben." Sein Parteifreund Mathias Lauritzen aus Morsum, hauptberuflich Bautechniker, wundert sich besonders darüber, dass die Finanzierungslücke von angeblich 3,2 Millionen Euro unter anderem aus Sturmschäden an den Gebäuden resultieren soll: "Für mich sind die Kosten vorgeschoben, weil für solche Schäden üblicherweise zuvor Versicherungen abgeschlossen werden." Und Holger Flessau (CDU) schimpft: "Hardenberg hatte nie vor, dort ein Internat zu bauen."

Und die Lister Bürger? Die etwa 70 Zuhörer saßen am Ende der Gemeindevertretersitzung schweigend da: keine Fragen. Erst draußen stimmten einige von ihnen in den Chor der Kritiker ein, es war von einem "abgekarteten Spiel" die Rede.

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, sagt von Hardenberg: "Das ist völliger Quatsch! Die Leute, die unser Projekt ernsthaft begleitet haben, wissen, dass es mir darum ging, eine Schule zu eröffnen. Und das werde ich auch tun. Nur leider an einem anderen Ort. Und bis dahin sorge ich als Geschäftsführer der Besitzgesellschaft des Grundstücks fair und geradlinig dafür, dass wir das, was vertraglich versprochen ist, auch einhalten." Und das sei eben der Bau von Dauerwohnungen.

Für Bürgermeister Strenger hat es jetzt Priorität zu klären, ob die Voraussetzungen dafür tatsächlich erfüllt sind: "Unser bisheriger Vertrag besagt, dass Dauerwohnraum entsteht, wenn das Internat nach drei Jahren nicht funktioniert. Nun ist es zu diesen drei Jahren aber gar nicht erst gekommen, und wir gehen davon aus, dass diese Regelung trotzdem greift, müssen es aber juristisch prüfen lassen." Auch die Vorsitzenden der vier im Lister Gemeinderat vertretenen Fraktionen wollen zunächst die rechtliche Prüfung abwarten, stehen aber hinter von Hardenberg: "Wir sind überzeugt, dass er hier wirklich eine Schule eröffnen wollte."

Einige Politiker der Gemeinde Sylt möchten den Listern jetzt ein Angebot machen: Sie wollen den Investoren das Grundstück in einer Gemeinschaftsaktion der Sylter Kommunen abkaufen und in Eigenregie mit Dauerwohnraum bebauen.