Menge steigt um 140 Prozent. Auch Scholle und arktischer Kabeljau im Plus. Fischer zeigen sich zufrieden, Umweltschützer sind entsetzt.

Brüssel/Hamburg. Mehr Fisch im Netz: Erstmals seit Jahren dürfen Nordseefischer 2012 wieder mehr Hering und Scholle fangen als im Vorjahr. Darauf einigten sich die zuständigen EU-Minister am Sonnabend nach einem knapp 18-stündigen Verhandlungsmarathon bei Fischereiverhandlungen in Brüssel. Deutsche Kutter können 140 Prozent mehr Hering einfahren, sagte der deutsche Agrarstaatssekretär Robert Kloos. 2012 dürfen damit insgesamt rund 405 000 Tonnen Nordseehering gefischt werden. Die Fangquoten können steigen, weil sich die Bestände im laufenden Jahr erholt haben. Fischereivertreter zeigten sich zufrieden mit der Entscheidung, Umweltschützer reagierten entsetzt.

Für zahlreiche andere Fischarten wurden die Fangquoten für die Nordsee und den Nordatlantik indessen gekürzt. Für Deutschland steht laut Kloos im kommenden Jahr unter dem Strich aber ein Plus. In den Vorjahren hatte es stets Rückgänge gegeben.

Auch Scholle und Kabeljau dürfen häufiger gefangen werden. Für die Nordseescholle gab es eine Erhöhung von 15 Prozent, ebenso für arktischen Kabeljau vor der Küste Norwegens. Bereits im Oktober waren die Fangmengen für den Hering in der Ostsee zum ersten Mal seit vier Jahren heraufgesetzt worden. Einbußen kommen beispielsweise beim Seelachs in der Nordsee. Hier wurde die Fangquote um 15 Prozent reduziert. Die Fangquoten für den Kabeljau in der Nordsee blieben nahezu auf Vorjahresniveau.

"Die Fischereipolitik Deutschlands trägt jetzt Früchte", sagte Agrarstaatssekretär Kloos. "Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Jahre, wo es deutlich schwierigere Verhandlungen waren, wo deutliche Rückgänge zu beschließen waren, können wir heute durchweg zufrieden aus den Verhandlungen gehen."

Ein ähnliches Resümee zog der Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischer in Hamburg. "Die Bemühungen der letzten Jahre um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände zeigen deutlich positive Ergebnisse", hieß es. "Der Anteil nachhaltig befischter Bestände stieg in einem Jahr von rund 20 auf nunmehr 37 Prozent. Damit verläuft die Umstellung auf nachhaltige Fischerei in Europa deutlich schneller und umfassender als die Einführung regenerativer Energien."

Schleswig-Holsteins Fischer sind mit den Beschlüssen zufrieden. "So schlecht sieht es für die Nordsee doch gar nicht aus", sagte der Vorsitzende des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein, Lorenz Marckwardt. Die Erhöhung für den Hering sei gewaltig. "100 Prozent hätten es auch getan." Die Schollenbestände in der Nordsee seien so groß wie nie. Die Wiederaufbauplanungen der vergangenen Jahre hätten gegriffen.

Auch EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki betonte, bei vielen Beständen habe sich die Lage gebessert. "Die meisten Fischer können zufrieden sein." Die EU-Kommission hatte den Mitgliedstaaten härtere Einschnitte vorgeschlagen. Brüssel stützt sich beim Kampf gegen die drohende Ausrottung vieler Fischarten auf wissenschaftliche Studien. In Europa gelten fast 90 Prozent der Bestände als überfischt.

Heftige Kritik gab es daher von Umweltverbänden. Der World Wilflife Fund (WWF) kritisierte den Heringsbeschluss als "Rückfall in dunkle Zeiten". Die Minister verfolgten ein "riskantes und kurzsichtiges Gewinnstreben", warnte WWF-Fischereiexpertin Karoline Schacht. Auch die Meerschutzorganisation Oceana zeigte sich enttäuscht. "Unglücklicherweise scheint niemand auf das Wohlergehen der Ressourcen zu achten", erklärte Xavier Pastor, Oceana-Geschäftsführer für Europa. Er warf den Ministern mangelnde Weitsichtigkeit vor.

Kloos betonte hingegen: "Bei allen Beschlüssen gehen wir natürlich auf die Empfehlungen der Wissenschaft zurück." Deutschland habe in den vergangenen Jahren effizient gefischt. Dennoch müssten manche Fischbestände besser geschützt werden.

Einen Erfolg verbuchte Deutschland bei den erlaubten Fangtagen für Kabeljaufischer. Die Zahl wurde für 2012 nicht noch weiter gekürzt. Frankreich und Großbritannien hatten dies unterstützt. Kloos hatte bereits vor den Verhandlungen betont, dass Deutschland weitere Einschnitte nicht verkraften könne. "Wir sind schon am Limit", sagte er. "Das könnten wir auch den Fischern nicht erklären: Die Fangquote ist da, aber sie dürfen einfach nicht rausfahren."