Niedersachsens Ministerpräsident mit britischer Staatsbürgerschaft verurteilt jüngste Äußerungen deutscher Politiker

Hannover. In Hannover haben mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU) gleich zwei Regierungschefs eine Fusion gefeiert. Rund 3500 meist mittelständische Unternehmen aus fünf norddeutschen Bundesländern mit zusammen mehr als 150 000 Beschäftigten haben sich unter dem Titel AGA Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e. V. zusammengeschlossen.

Davon allerdings ist die Politik weit entfernt: Sie streitet bestenfalls über Einzelthemen wie die Elbvertiefung (Hamburg kontra Niedersachsen) und den richtigen Standort für die Windmesse (Hamburg kontra Schleswig-Holstein). Europa allerdings ist nach Auffassung der beiden norddeutschen Regierungschefs auf einem guten Weg. Auf dem jüngsten EU-Gipfel sei "europäische Geschichte" geschrieben worden, sagte Niedersachsens Ministerpräsident McAllister. Europa sei die "Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart". Für Hamburgs Bürgermeister ist Europa "das Schicksal Deutschlands". Scholz: "Wir haben da eine Aufgabe zu erfüllen." In seiner Rede zu Europa äußerte Niedersachsens Ministerpräsident Unverständnis über die Kritik deutscher Politiker an Großbritannien. Aussagen etwa, mit denen Großbritannien eine privilegierte Partnerschaft angeboten werde, zeugten von Arroganz und seien völlig inakzeptabel. Er selbst sei "tieftraurig" über die Entscheidung des Landes, sich nicht am neuen europäischen Stabilitätsvertrag zu beteiligen. Aber Deutschland dürfe nicht vergessen, was es Großbritannien zu verdanken habe, sagte McAllister, der neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft hat.

"Großbritannien gehört zur Europäischen Union", machte er klar und kündigte an, in der nächsten Woche politische Gespräche in London zu führen. Es sei nun die Aufgabe deutscher Politik "die Hand auszustrecken, um Großbritannien wieder aus seiner Ecke herauszuholen".

Scholz und McAllister wollen in Norddeutschland weiter kooperieren, um die Region innerhalb Europas zu stärken. Eine "starke norddeutsche Identität" sei gut für die Gesamtregion im Europa der Regionen, sagte Scholz. Genauso wie McAllister wehrte er sich aber gegen Spekulationen über einen Nordstaat. "Wir leben nach dem Motto: Liebe deinen Nachbarn, aber reiße den Gartenzaun nicht ein", sagte McAllister.

Wichtig sei aber etwa eine bessere Zusammenarbeit in der Wissenschaft. "Als politisch Verantwortliche sollten wir so handeln, wie es die Menschen empfinden, nämlich, dass es nur zufällig diese Grenzen gibt", sagte Scholz. Es wäre ein Fortschritt, wenn nicht jedes Land einzeln nach Berlin gehe, um Fördermittel zu erhalten, fügte McAllister hinzu.

Eifrig zählte Olaf Scholz Beispiele für die gute norddeutsche Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg auf, etwa in der Luftfahrtindustrie, und bestätigte allen fünf beteiligten Landesregierungen: "Das läuft richtig gut." Ein bisschen klang das, als wolle er vergessen machen, dass in seiner ersten Regierungserklärung Schleswig-Holstein und Niedersachsen gar nicht vorgekommen sind.

Scholz beschwor das norddeutsche Wir-Gefühl, aber verzichtete fast schon demonstrativ darauf, die zögerliche Landesregierung in Hannover beim für Hamburg und seinen Hafen so wichtigen Thema Elbvertiefung unter Druck zu setzen. Während die Zustimmung der EU-Kommission inzwischen vorliegt, steht die Entscheidung der Nachbarn Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus. Diese prüfen noch, ob sie zustimmen oder ablehnen. Olaf Scholz: "Das warten wir gemeinsam in aller Ruhe ab."

McAllister machte noch einmal deutlich, dass er von Länderfusionen wenig hält: "Ich glaube nicht, dass ein ganz großer Verbund eine lohnenswerte Struktur ist." Auch er bevorzugt es, lieber über gelebte Gemeinsamkeit als eine Hochzeit unter Bundesländern zu reden. Zur Elbvertiefung fasste er sich kurz, verwies auf das anstehende förmliche Verfahren, aber bei genauerem Hinhören machte er dem Hamburger Gast durchaus Hoffnung.

Die Niedersachsen, so versicherte er, seien Pragmatiker. "Wir werden uns so konstruktiv einlassen, wie wir das auch bei der Weservertiefung gemacht haben." Damit zeichnet sich ab, dass ähnlich wie bei der bereits genehmigten Weservertiefung in einem Staatsvertrag mögliche Negativfolgen für Landwirte ausgeglichen werden.

Einen Etappensieg hat Niedersachsen ohnehin errungen: Der eigene Tiefwasserhafen Wilhelmshaven wird im August 2012 eröffnet, die Elbvertiefung wird erst deutlich später erfolgen.