Archäologen finden historische Scherben im Weserbergland. Dorthin könnten Bewohner der Hammaburg vor Wikingern geflohen sein.

Hamburg. Gesichert scheint, dass es ein regelrechtes Gemetzel gewesen sein muss. Damals, im Jahr 845, in der Keimzelle Hamburgs. Wikinger meuchelten sich die Elbe hinauf, plünderten die Flussufer und legten dabei auch die Hammaburg in Schutt und Asche. Dass Bischof Ansgar aus dem niedergebrannten Missionszentrum nach Bremen flüchtete, ist überliefert. Wohin sich aber die restlichen Ur-Hamburger retteten, nachdem ihre Festung zerstört wurde, galt bislang als unklar. Doch jetzt könnte der Archäologe Hans-Georg Stephan das Rätsel gelöst haben.

Im Solling, einem Mittelgebirgszug im Weserbergland, haben er und sein 20-köpfiges Grabungsteam Tonscherben gefunden, die den Schluss zulassen, dass sich einige Hammaburg-Flüchtlinge in der 200 Kilometer entfernten Region ansiedelten. Simple, mit Knochenkämmen eingearbeitete Tonmuster sowie die Zusammensetzung der Fundstücke sprächen dafür. "Unsere Auswertung ergab zweifelsfrei, dass die Gefäße von Töpfern aus dem nordischen Missionszentrum, der Hammaburg, angefertigt wurden", sagte Stephan, 61, dem Abendblatt. "Sie weisen für die Elbregion typische Verzierungen auf." Knochenkamm-Muster und Stil der Gefäße seien damals nur in der Elbniederung bei Hamburg üblich gewesen. Datiert werden die Funde, Bruchstücke von Kochtöpfen und Vorratsgefäßen, auf das 9. Jahrhundert.

Dass die Fundstücke über Handelswege von Hamburg in den Solling gekommen sind, schließt Stephan, ein anerkannter Keramikkenner des Mittelalters, aus: "Die Gefäße können nur im Weserbergland gebrannt worden sein. Sie sind mit einem Buntsandstein versetzt, der an der Elbe nicht vorkommt." Wahrscheinlich sei laut Stephan, dass der Flüchtlingstross nahe Holzminden aufgenommen wurde. In Siedlungen, die heute verschwunden sind. Seit 2005 forscht der Professor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Weserbergland, die aktuellen Erkenntnisse stammen aus diesem Jahr.

Im Museum für Hamburgische Geschichte wird der Fund indes vorsichtiger bewertet. Ralf Wiechmann, wissenschaftlicher Abteilungsleiter am Holstenwall, hält die Theorie seines Kollegen jedenfalls für gewagt. "Vor allem die zeitliche Einordnung und die daraus gezogene Verbindung zur Hammaburg ist mutig", sagt er. Natürlich sei nicht ausgeschlossen, dass Hans-Georg Stephan mit seiner Deutung recht habe. Aber es sei schwierig, sie zu beweisen. "Schließlich könnte es auch ein Technologietransfer gewesen sein." Soll heißen, ein Töpfer aus Hamburg ist ins Weserbergland gezogen und hat dort seine erlernten Techniken angewendet.

Zum anderen, so Wiechmann, sei an der Hammaburg keine Siedlungsunterbrechung nachgewiesen: "Die Wikinger haben sich hier ja nicht ewig niedergelassen, sondern sind weitergezogen. Die Hammaburger haben ihre Häuser wieder aufgebaut und sind hier geblieben." Per se widersprechen will Wiechmann der Theorie seines Kollegen aber nicht. "So oder so ist es ein interessanter Fund. Denn auch ein unerzwungener Wissenstransfer aus Hamburg ins Weserbergland ist spannend."

Elke Först, Wissenschaftliche Leiterin der Hamburger Bodendenkmalpflege und Expertin für die Hammaburg, ist ebenfalls skeptisch: "Die Techniken, die jetzt an den Fundstücken nachgewiesen wurden, sind im gesamten Niederelberaum angewandt worden. Deshalb lässt sich ein eindeutiger Bezug zur Hammaburg nur schwer beweisen." Sie schätze Hans-Georg Stephan als ausgewiesenen Experten der Mittelalterarchäologie, wisse aber, wie schwer es sei, Keramikfundstücke zeitlich exakt einzugrenzen. "Hinzu kommt, dass es im norddeutschen Raum unter Karl dem Großen (regierte 768 bis 814) einige Wanderungen und Deportationen gegeben hat." Dass Hamburger exakt im Jahr 845 vor Wikingern in den Solling geflohen sind, sei demnach nicht die einzig denkbare Erklärung für die Funde. Hauptproblem sei, Archäologie und schriftliche Quellen in Einklang zu bringen, wie das Beispiel der Hammaburg zeige: "Sie konnte noch immer nicht archäologisch nachgewiesen werden", sagt Elke Först.

Bei Gelegenheit wolle sie sich die Funde aus dem Weserbergland dennoch ansehen, um sich selbst von der Beweiskraft zu überzeugen. Sollte sich die Theorie von Hans-Georg Stephan belasten lassen, wäre der Fund tatsächlich revolutionär.

(abendblatt.de)