Fallanalytiker berichtet im Prozess gegen den “Maskenmann“ von den Aussagen des mutmaßlichen Täters am Tag nach der Festnahme.

Stade. Es ist der 14. April dieses Jahres. Martin N. sitzt im Vernehmungszimmer der Polizei in Verden. Er weint. Seinen Kopf hat der 1,96 große Mann an die Schulter des Polizisten Alexander Horn gelehnt. N. hält die Hand des Beamten. Dann gibt Martin N. zum ersten Mal zu, dass er der "schwarze Mann" ist. Und damit gesteht der 40-Jährige indirekt die Morde an drei Jungen sowie zahlreiche Missbrauchsfälle. Alexander Horn, sogenannter Fallanalytiker, auf Englisch Profiler, ist zum sogenannten Maskenmann durchgedrungen.

Horn sitzt am Vormittag des 14. April allein mit dem Verdächtigen Martin N. im Vernehmungszimmer. Seit seiner Festnahme am Tag zuvor, hat sich N. noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Doch Horn habe gesehen, dass es in N. sehr stark arbeite, sagte der Profiler gestern vor dem Landgericht Stade. Zudem habe er eine Vertrauensbasis zwischen ihm und N. bemerkt, die dieser später auch bestätigte. Horn wollte den 40-Jährigen zu einem Geständnis bewegen und reichte ihm die Hand. Martin N. habe seine Hand genommen, stark angefangen zu weinen und sich an die Schulter des Polizisten gelehnt. "Er sagte, er hat Angst vor dem, was auf ihn zukommt - auf ihn, seine Familie und alle, die er lieb hat", so Horn.

Nach einem Tag in Gewahrsam der Polizei war der mutmaßliche Kindermörder Martin N. bereit, über die Taten zu reden. Als Profiler Alexander Horn ihn fragte, ob er der "schwarze Mann" sei, bestätigte N. dies unter Tränen. Damit habe er die Taten indirekt gestanden, so Horn. Schließlich habe er bereits bei den Gesprächen am Tag zuvor gesagt, dass der "schwarze Mann" seiner Meinung nach für die Taten verantwortlich ist. Am Morgen des 13. April hatten Beamte eines Mobilen Einsatzkommandos Martin N. gestellt, als er seine Wohnung in Harburg verließ. Anschließend wurde er, begleitet von Horn und Martin Erftenbeck, dem Leiter der Sonderkommission (Soko) "Dennis", nach Verden gebracht. Dort wurde N. unter anderem eine Speichelprobe entnommen. Als der 40-Jährige im Vernehmungszimmer fragte, welche Beweise die Polizei habe, entwickelte sich das stundenlange Gespräch zwischen N., Profiler Horn und Sokoleiter Erftenbeck. In dessen Verlauf habe es zwei besonders emotionale Ausbrüche von N. gegeben, sagte Profiler Horn gestern. Als die Beamten das Gespräch dabei auf seine pädophile Interessen lenkten, sagte Martin N. unter Tränen, er "liebe die Jungs halt". Zu den Tatvorwürfen äußerte er sich allerdings immer noch nicht.

Der zweite Zusammenbruch erfolgte am Abend des 13. April, kurz nachdem Sokoleiter Erftenbeck N. für vorläufig festgenommen erklärte. Die Beamten fragten N., wie er gedenkt weiterzumachen. Dieser senkte den Kopf, weinte und sagte, er wisse es nicht. In der folgenden Nacht stand N. wegen Suizidgefahr unter Beobachtung. Schließlich habe N. zu diesem Zeitpunkt gewusst, "dass sein Doppelleben aufgeflogen ist", so Erftenbeck. N. versuchte in dieser Nacht, sich das Leben zu nehmen, das gab er später zu.

Den Polizeibeamten sagte er am nächsten Tag nur, er habe schlecht geschlafen, Tausende Menschen seien in seinen Träumen in seiner Zelle gewesen. Doch sein Wille zu schweigen schien gebrochen. Zunächst öffnete er sich lediglich Profiler Horn, der seit 1997 mit dem Fall vertraut ist, später sagte er auch im Beisein von Sokoleiter Erftenbeck aus. Allerdings räumte N. bislang lediglich ein, zwischen 1992 und 2001 drei Jungen getötet und einige missbraucht zu haben.

Nun könnte ein bislang unbekanntes Missbrauchsopfer den Angeklagten zusätzlich in Bedrängnis bringen. Der junge Mann hatte sich erst in der vergangenen Woche bei der Polizei gemeldet. Der Zeuge soll möglicherweise im Jahr 2007 von Martin N. sexuell missbraucht worden sein. Er soll morgen vor dem Landgericht Stade angehört werden. Der Zeuge ist übrigens der Halbbruder des 21-jährigen Sebastian A., der vorige Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte. Auch A. soll über Missbrauchsfälle gesprochen haben, die sich nach 2001 abgespielt haben sollen. Die Aussagen der Halbbrüder könnten mitentscheidend sein, ob gegen den Angeklagten ein Urteil mit Sicherungsverwahrung verhängt wird oder nicht.