Iraker erschießt 13-jährige Tochter und flüchtet. Polizei fahndet im niedersächsischen Kreis Nienburg mit Hubschraubern und Spürhunden nach ihm

Stolzenau. Es war als Versöhnung geplant und endete mit dem Tod eines minderjährigen Mädchens. Ein Familiendrama hat am Montag die 7300-Einwohner-Gemeinde Stolzenau im niedersächsischen Landkreis Nienburg erschüttert. Am helllichten Tag tötete ein 35 Jahre alter Familienvater auf einer öffentlichen Straße seine 13-jährige Tochter mit einem Kopfschuss.

Seit einem halben Jahr lebte das Mädchen auf eigenen Wunsch in einem Jugendheim. 2008 war es mit seiner aus dem Irak stammenden Familie jesidischen Glaubens nach Stolzenau gezogen. "Es gab schon seit einiger Zeit Unstimmigkeiten", sagte Polizeisprecherin Gabriela Mielke gestern. Ein halbes Jahr nach dem Auszug sollte es in Stolzenau zu einem klärenden Gespräch kommen. Mit am Tisch saßen die Eltern. Die Versöhnung scheiterte. Nach dem Gespräch wollte das Mädchen dann gegen 15.50 Uhr zusammen mit den beauftragten Pflegern zurück in die Jugendhilfeeinrichtung fahren. Doch plötzlich zückte der Vater auf dem Weg aus der Behörde eine Pistole und zielte mehrfach auf seine Tochter. Ein Schuss traf die 13-Jährige im Kopf. Sie war sofort tot. Der Vater flüchtete mit einem grauen VW Golf. Die Polizei fahndet mit Hochdruck nach dem Täter. Hubschrauber und Spürhunde sind im Einsatz. Doch von dem Mann fehlt bislang jede Spur.

Für die Ermittlungen wurde eine zehnköpfige Mordkommission eingeschaltet. "Konkrete Anhaltspunkte auf den derzeitigen Aufenthaltsort des Täters liegen uns nicht vor", sagte Mielke. Auch die Tatwaffe wurde bislang nicht gefunden.

Ob der Mann die Pistole noch bei sich trägt, ist unklar. Möglichweise hat er die Waffe während der Flucht weggeworfen. Die Polizei rekonstruiert den genauen Tathergang. Am Mittag wurde die Leiche der 13-Jährigen in der Rechtsmedizin Hamburg obduziert.

Während die Mordkommission nach dem Familienvater fahndet, rätselt die Staatsanwaltschaft über die Motive der Tat. "Es war eine unbescholtene Familie", so Polizeisprecherin Mielke. Auch beim Jugendamt gab es keine Anzeichen. "Dass es zu so einer dramatischen Entwicklung kommt und die Lage dermaßen eskaliert, war nicht abzusehen", sagte Torsten Rötschke vom Landkreis Nienburg dem Abendblatt. Das getötete Mädchen hat drei Geschwister im minderjährigen Alter. Sie wurden vom Jugendamt in Obhut genommen.

In der Gemeinde Stolzenau herrschten am Tag nach der Tat Trauer und Ratlosigkeit. Mit Bestürzung reagierten die Menschen auf den Tod des Mädchens. "Das schreckliche Ereignis hat viele Menschen tief betroffen gemacht", sagte Bürgermeister Bernd Müller. "Was geht in den Köpfen solcher Menschen vor? Man kann es sich nicht vorstellen", sagte Anwohnerin Ute Finze. "Die unfassbare Tat hinterlässt ein beklemmendes Gefühl", ergänzte Müller.

Ob der jesidische Glaube der Familie bei der Tat eine Rolle spielte, ist unklar. Jesiden sind Kurden vor allem aus dem Irak, der Türkei und Syrien. Ihre Glaubensrichtung verbietet es, Angehörige anderer Religionsgemeinschaften zu heiraten. Rund 50 000 Jesiden leben schätzungsweise in Deutschland, die meisten von ihnen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Erst Anfang November sorgte der Fall einer 18-jährigen Kurdin im lippischen Detmold für Aufsehen. Sie wurde offenbar von ihrer Familie verschleppt, weil sie eine Liebesbeziehung mit einem gleichaltrigen Deutschen eingegangen war.

Für die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Katja Niethammer vom Afrika-Asien-Institut in Hamburg ist der Glaube aber keine Erklärung für die Tat des Familienvaters. Niethammer: "Keine Religion dieser Welt erlaubt es, seine eigene Tochter zu töten."