Ahrensburger Missbrauchsopfer setzen große Hoffnungen auf neue Bischöfin. Pastor muss vor Kirchengericht

Ahrensburg. "Unser Beruf bietet so viele Möglichkeiten zur Gestaltung. Aber die wenigsten nutzen sie." Das sagte der Ahrensburger Pastor Friedrich H. damals, im Jahr 2006, als er in den Ruhestand ging. Hat er seine Gestaltungsmöglichkeiten nicht nur genutzt, sondern ausgenutzt? Diese Frage muss jetzt das Kirchengericht klären. Wie die Nordelbische Kirche gestern bekannt gegeben hat, wird sich H. im Zusammenhang mit dem Ahrensburger Missbrauchsskandal vor der Disziplinarkammer des Gerichts verantworten müssen. Was dem Pastor genau vorgeworfen wird, blieb unklar. Entsprechende Fragen des Abendblatts mochte H. nicht beantworten. Das kirchliche Disziplinarverfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Kirchenleitung ist aber offenbar der Ansicht, dass die Beweise ausreichen, um den 70-Jährigen aus dem Dienst zu entfernen. Damit würde er seine Pastorenrente verlieren und dürfte nicht mehr seelsorgerisch tätig sein.

H., der seit 2006 im Ruhestand ist, galt bislang als Mitwisser des Missbrauchsskandals. Haupttäter ist Pastor Dieter Kohl, 72. Der hatte sich vor knapp einem Jahr einem Verfahren vor dem Kirchengericht dadurch entzogen, dass er seine Entlassung aus dem Dienst beantragte. Zugleich hatte er gestanden, in seiner Zeit als Pastor im Kirchsaal Hagen in den 80er-Jahren Jugendliche und junge Erwachsene sexuell missbraucht zu haben. Damit bestätigte er letztlich die Aussage eines Opfers, das sich im März 2010 an die damalige Bischöfin Maria Jepsen gewandt und damit den größten Missbrauchsskandal in der Nordelbischen Kirche öffentlich gemacht hatte.

H. und Kohl waren über Jahrzehnte hinweg Kollegen im Kirchsaal Hagen, einer Kirchengemeinde in Ahrensburg. Im Mai 2010 hatte H. gegenüber dem Abendblatt zugegeben, schon seit 25 Jahren von den Missbrauchsvorwürfen gewusst zu haben. Er habe aber nur "vielleicht ein Fünftel dessen geahnt, was tatsächlich in unserer Gemeinde und auf Konfirmandenfreizeiten geschah". Nun sei "schonungslose Aufklärung" nötig. Nach dieser Aussage nahm das Kirchenamt in Kiel die Ermittlungen gegen H. auf. Im August räumte der Pastor ein, zwischen 1982 bis 1984 "intime Beziehungen" zu zwei Frauen im Alter von 17 und 18 Jahren unterhalten zu haben. Zum Geschlechtsverkehr sei es aber nie gekommen.

Im Dezember wurden weitere Vorwürfe laut. Das Kirchenamt bestätigte die Existenz von "zwei neuen schriftlichen Erklärungen, in denen Pastor H. sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden". H., der sich mittlerweile einen Anwalt genommen hatte, ließ dementieren: Es sei Unsinn, dass er junge Mädchen missbraucht habe.

Die Kirchenleitung scheint das anders zu sehen. Vor jedem Gang vor die Disziplinarkammer des Kirchengerichts muss sie abwägen, ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Im Fall H. lautet das Ergebnis nach fast anderthalb Jahre währenden Ermittlungen offenbar: Ja, es könnte klappen.

Bischof Gerhard Ulrich ist jedenfalls laut Pressemitteilung "zufrieden, dass das Verfahren jetzt in eine entscheidende Phase tritt". Und verbindet dies mit einer kleinen Presseschelte: "Auch wenn von der öffentlichen Meinung immer wieder Schnelligkeit gefordert wurde, ist der von uns eingeschlagene Weg der Gründlichkeit der richtige gewesen. Nur ein geordnetes Verfahren erfüllt alle Ansprüche an unseren demokratischen Rechtsstaat."

Bischöfin Maria Jepsen hat diesen Weg der Gründlichkeit nicht mitgehen können. Nachdem Vorwürfe laut geworden waren, sie sei schon viel früher über die Missbrauchsfälle informiert gewesen, war sie im Juli 2010 zurückgetreten. In Ahrensburg hatte man gehofft, dass sich Jepsens Nachfolgerin Kirsten Fehrs energischer als Bischof Ulrich für eine Aufklärung einsetzen würde. Derzeit fürchten viele Menschen in Ahrensburg, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllen. Bei Fehrs' Einführungspredigt im Dom zu Lübeck ließ sich bestenfalls ein allgemein gehaltener Satz auf den pastoralen Missbrauch beziehen. Das "lebendige Wort", so die Bischöfin, halte unsere Empfindsamkeit wach "für die Verstörten und Verstummten, die als Kinder Opfer wurden von sexualisierter Gewalt".

Pastor H. dürfte nun daran interessiert sein, das Disziplinarverfahren mithilfe von juristischen Scharmützeln in die Länge zu ziehen. Neben dem Kirchengericht in Hamburg steht ihm dafür auch noch eine zweite Instanz zur Verfügung: der Kirchengerichtshof in Hannover. Sollte H. nämlich am Ende tatsächlich aus dem Dienst entfernt werden, verlöre er auch seine Pensionsansprüche als Pastor und müsste in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert werden - was für ihn mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden wäre.

Nach Informationen des Abendblatts hat sich Pastor H. per einstweiliger Verfügung dagegen wehren wollen, dass die Kirche den Gang vors Kirchengericht publik macht. Doch das Verwaltungsgericht in Schleswig soll den Antrag abgelehnt haben. H., der unlängst noch "schonungslose Aufklärung" des Missbrauchsskandals gefordert hatte, mochte sich auch dazu nicht äußern.