Prozess gegen mutmaßlichen Kindermörder beginnt in Stade. Er sitzt den Eltern seiner Opfer Auge in Auge gegenüber. Gutachter bestätigt Schuldfähigkeit

Stade. Alle Augen richten sich auf die Tür. Ein Rascheln, ein Klackern, Justizbeamte kommen die Treppe herauf. Es ist 10.15 Uhr, als der mutmaßliche Kinderschänder und Mörder von drei Jungen den Gerichtssaal betritt. Er verbirgt sein Gesicht hinter einer Art Maske - nur handelt es sich diesmal nicht um eine schwarze Sturmhaube, sondern um eine rosafarbene Kladde.

Fast zehn Jahre konnte der wegen seiner schwarzen Verkleidung als "Maskenmann" gefürchtete Angeklagte ungeschoren Jungen missbrauchen und töten - seit gestern steht er vor dem Landgericht Stade, wo unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen den 40-jährigen Pädagogen begann. Die provisorische Maske fällt, als der Richter die Sitzung eröffnet und Martin N. die Kladde beiseite legt. Er sitzt den Nebenklägern jetzt Auge in Auge gegenüber: den Angehörigen der drei getöteten Kinder. Er hat sein Äußeres verändert, trägt einen Vollbart, graue Strähnen durchziehen seine Haare, unter seinen Augen tiefe Ringe. Als er die Bluttaten nach seiner Festnahme im April der Polizei gestand, soll er immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt worden sein. Gestern aber: keine Regung. Unbewegt, die Miene maskenhaft, lässt er die Anklage über sich ergehen.

Eine halbe Stunde schildert Staatsanwalt Johannes Kiers, wie Martin N. die Jungen missbrauchte und tötete. Wie sich der hünenhafte Mann in Kinderzimmer, in die Schlafsäle von Landschulheimen und in Zelte schlich. Wie er die Jungen dann aus ihren Betten holte und sich an ihnen verging. Ein Opfer soll er 1995 gar zweimal heimgesucht haben - erst im Schulheim, Monate später zu Hause in seinem Kinderzimmer. Die Staatsanwaltschaft klagt Martin N. unter anderem wegen Mordes und sexuellen Kindesmissbrauchs an, legt ihm 23 Straftaten zur Last. Alle drei Kindstötungen habe er heimtückisch, aus niederen Beweggründen und in Verdeckungsabsicht begangen.

Sein erstes Opfer war laut Anklage Stefan J. Der Täter holte den damals 13 Jahre alten Jungen 1992 aus einem Internat in Scheeßel, drei Jahre später entführte er Dennis R., 8, aus einem Ferienzeltlager am Selker Noor, verbrachte vier Tage mit ihm in einem Ferienhaus in Dänemark. Beide Jungen erwürgte der Pädagoge aus Angst vor Entdeckung, ihre Leichen verscharrte er im Sand. Sein letztes Opfer war im September 2001 der neunjährige Dennis K., den er aus einem Schullandheim in Wulsbüttel entführte und tötete.

Möglicherweise weiß man über die Motive des 40-Jährigen am nächsten Verhandlungstag mehr. Am 26. Oktober will er eine Erklärung abgeben. Ihm droht neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine Sicherungsverwahrung. Nach vorläufiger Einschätzung des psychiatrischen Gutachters war er voll schuldfähig, als er die Taten beging.

Vor dem Gerichtssaal steht Ulrich J., Vater des ersten Mordopfers, und beantwortet die Fragen der Journalisten. "Völlig kalt" lasse ihn Martin N. "Das Einzige, was mich interessiert: dass hier alles lückenlos aufgeklärt wird."