Die Behörde sei zu spät gegen die gewalttätige Mutter in Glinde eingeschritten. Der Amtsleiter bezeichnet das RTL-Verhalten “grenzwertig“

Glinde. Als die Mutter das Kinderzimmer betritt, zucken die Kleinen ängstlich zusammen. Es folgen Schreie, Tritte, Schläge. Es sind erschreckende Bilder, die RTL in der Sendung "Super Nanny" vor Kurzem zeigte und die Millionen Fernsehzuschauer verfolgten. Eines wird schnell klar: Die 25 Jahre alte alleinerziehende Mutter Soraya M. aus Glinde (Kreis Stormarn) ist mit ihren drei Kindern (sieben, vier und drei Jahre) vollkommen überfordert.

Jetzt erhebt die Fernseh-Diplompädagogin Katia Saalfrank schwere Vorwürfe gegen das zuständige Jugendamt. Obwohl es von den Vorgängen in der Familie Kenntnis gehabt und RTL die Behörde kurz nach der Aufzeichnung im März immer wieder um Konsequenzen gebeten habe, sei das Jugendamt nicht - beziehungsweise viel zu spät - tätig geworden.

Mittlerweile gibt es eine erste Konsequenz: Laut Jugendamt des Kreises Stormarn ist der Mutter in der vergangenen Woche das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre drei Kinder entzogen worden. Doch warum so spät? Warum erst etwa ein halbes Jahr, nachdem RTL die Familie besuchte, zehn Tage lang filmte und noch während der Dreharbeiten das Jugendamt über körperliche Übergriffe informierte?

Katia Saalfrank erklärte gegenüber dem Abendblatt, dass sie und ihr Team das Jugendamt immer wieder zum Handeln aufgefordert hätten. Doch erst im August habe die Behörde die Kinder in einer Pflegefamilie untergebracht.

Wilhelm Hegermann, Fachdienstleiter des Jugendamtes im Kreis Stormarn, weist die Vorwürfe gegenüber dem Abendblatt entschieden zurück. Zum einen sei die Familie bereits seit Jahren vom Jugendamt betreut worden, zum anderen seien dem Amt die Bilder, die die Brisanz des Falles verdeutlicht hätten, vor der Ausstrahlung nicht vorgespielt worden. "Wir haben zwei Tage nach dem Gespräch mit RTL am 17. März eine ärztliche Untersuchung der Kinder veranlasst. Aus dem Gutachten aber ging hervor, dass sich keine misshandlungsverdächtigen Befunde nachweisen ließen", so Hegermann. Zudem habe die Mutter sofort eine sozialpädagogische Familienhilfe zur Seite gestellt bekommen, die drei bis vier Tage in der Woche die Familie besuchte. Auch habe die Mutter, die in ihrer eigenen Kindheit massiven Misshandlungen ausgesetzt war, im gleichen Zeitraum eine ambulante und später eine stationäre Therapie begonnen.

Hegermann jedoch räumt ein, dass durch die Aufzeichnungen von RTL der Fall eine zusätzliche Dynamik bekommen habe, die auch dazu führte, dass die Kinder seit Anfang August mit Einverständnis der Mutter in einer Pflegefamilie untergebracht wurden. "Es ist immer eine Gratwanderung zu sagen, wann der richtige Moment ist, die Kinder aus ihrer Familie zu nehmen. Wenn wir vorher gesehen hätten, dass Gewalt ausgeübt wurde, wären wir anders vorgegangen", so Hegermann.

Er erklärte gegenüber dem Abendblatt, dass derzeit intern geprüft werde, ob die Arbeit des Jugendamtes besser hätte laufen können. "Das wird aber in jedem Fall getan." Der Einblick der Jugendamtsmitarbeiter sei immer eingeschränkt. Zudem könnten sich die Familien immer auf den Besuch vorbereiten. "Die Mutter hatte so wahrscheinlich ihre Mechanismen, die Sache zu vertuschen."

Ankläger in diesem Fall ist indes nicht nur die "Super Nanny". Der Jugendamtsleiter Wilhelm Hegermann und der Leiter des Kinderhauses in Glinde, Matthias Richter, fragen ihrerseits: Wieso ist RTL bei den Aufnahmen nicht eingeschritten? "Das ist absolut grenzwertig. Da sitzt einer hinter der Kamera und schreitet nicht ein, wenn Kinder misshandelt werden", sagt Hegermann. Richter vermutet, dass Saalfrank mit den Vorwürfen vom eigenen Fehlverhalten ablenken will. "Sie hat sich meiner Meinung nach selbst strafbar gemacht, wenn solche Situationen ohne Eingreifen gefilmt werden", kritisiert der Pädagoge das Team des Privatsenders.

Richter kenne den sieben Jahre alten Sohn der Familie seit gut einem Jahr. Seitdem der Kleine im August 2010 eingeschult worden ist, wird er nachmittags in der ambulanten Familienhilfe im Kinderhaus der Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit in Glinde betreut. "Der Junge war von Anfang an verhaltensauffällig, zeigte zum Beispiel eine Einschränkung beim Lernen. Aber er ist nicht auffällig schreckhaft und es gab auch keine Hinweise auf körperliche Misshandlung vonseiten der Mutter", sagt Richter.

Wie es mit der Familie nun weitergeht und wie lange die Kinder in ihrer Pflegefamilie bleiben, soll in den kommenden Wochen der Familienrichter entscheiden.