Parteifreund Börnsen schrieb eine Biografie über den Regierungschef. Der kam zur Präsentation, obwohl wegen Krankheit seine Arbeit ruht

Husum. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat Spekulationen über seine Gesundheit und einen Amtsverzicht vom Tisch gewischt. "Keine Sorge, ik lev noch", sagte der 64-Jährige gestern dem Abendblatt in Husum. "Ich will bis zur Wahl im Mai Ministerpräsident bleiben", ergänzte er kurz danach mit belegter Stimme im Husumer Schloss, wo sein alter Weggefährte, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen, 69 (CDU), eine freundliche Biografie über den Bauernjung aus Nordstrand vorstellte.

Carstensen, der am Freitag nach einem Schwächeanfall im Landtag in einer Klinik durchgecheckt worden war und in dieser Woche fast alle Termine abgesagt hatte, will seine Amtsgeschäfte in der nächsten Woche wieder aufnehmen, aber etwas kürzertreten. Grund sind Herz-Kreislauf-Probleme, die Carstensen seit Jahren zu schaffen machen. Seinen Auftritt in Husum begründete er damit, dass der Termin seit Wochen mit Verlag und vielen Gästen geplant war.

Börnsen strahlte. Über sein Buch wird allerdings selbst in CDU-Kreisen der Kopf geschüttelt. Der Politik-Autor schildert zwar warmherzig und teils auf Platt die ersten Jahre des "lütten Pede" auf dem elterlichen Bauernhof im Elisabeth-Sophien-Koog und streut dabei auch "Döntjes" ein, mit denen Carstensen die schweren Nachkriegsjahre beschreibt: "Hühnersuppe gab es bei uns bei zwei Gelegenheiten: Entweder mein Vater war krank oder das Huhn."

Der Politiker Carstensen bleibt in dem Buch aber blass, weil Börnsen vor allem alte Bauernreden des früheren Bundestagsabgeordneten zitiert und seine Regierungsjahre in Kiel nur referiert. Das Buch sei mit gutem Willen und viel Herz verfasst, bilanzierte der Chefredakteur des "Nordschleswigers", Siegfried Matlok, in seiner Laudatio.

Die Bedeutung Carstensens für Schleswig-Holstein wird nur ansatzweise deutlich. Kein Wort verliert Börnsen darüber, dass mit Carstensens Abschied spätestens nach der Wahl im Mai 2012 bei der Nord-Union der Generationswechsel vollzogen wird. Carstensen ist nicht nur der letzte aktive Spitzenpolitiker aus der alten Garde, die schon mit Uwe Barschel Politik machte. Er war auch derjenige, der den über die Kieler Affäre 1987 gestürzten und kurz danach verstorbenen Regierungschef 2004 auf einem Parteitag in Norderstedt wieder in die CDU-Ahnenreihe aufnahm und so rehabilitierte.

Carstensen zog in Schleswig-Holstein nicht nur verbal einen Schlussstrich unter die Barschel-Affäre, sondern auch politisch. Nachdem Heide Simonis (SPD) 2005 im Landtag spektakulär durchgefallen war, übernahm Carstensen das Ruder und machte die seit 17 Jahren regierende SPD zum Juniorpartner in einer Großen Koalition. Nach der Landtagswahl 2009 konnte er sogar die Wunschkoalition mit der FDP bilden. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte Carstensen sich ein Jahr später. Ende 2010 machte die schwarz-gelbe Koalition mit einem radikalen Sparhaushalt den ersten Schritt auf dem langen Weg zur Sanierung Schleswig-Holsteins.

Noch weniger Worte als über Carstensens Erfolge verliert Börnsen über dessen Misserfolge. Der Friese wird, wenn er seinen Stuhl in acht Monaten räumt, keine einzige volle Wahlperiode (fünf Jahre) regiert haben. Seine Große Koalition scheiterte nach vier Jahren im Dauerstreit mit SPD-Chef Ralf Stegner. Seine schwarz-gelbe Regierung war noch kein Jahr im Amt, als das Landesverfassungsgericht das Wahlrecht kippte und vorgezogene Neuwahlen anordnete. Für dieses Desaster ist allerdings nicht Carstensen verantwortlich, sondern die frühere CDU-Fraktion. Sie hatte 2003 zusammen mit der SPD das neue Wahlrecht beschlossen. Börnsen ist das entgangen. Er bucht die Änderung des Wahlgesetzes fälschlicherweise auf das Konto von SPD und Grünen.

Weitgehend ausgespart wird in dem Buch auch ein Markenzeichen Carstensens, sein Hang zu Pleiten, Pech und Pannen. Schon als Spitzenkandidat sorgte der Witwer 2004 bundesweit für Schlagzeilen, weil er über die "Bild"-Zeitung eine First Lady suchte ("Ich möchte mich so gern mal wieder verlieben") und sein lückenhaftes Schattenkabinett unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes auf einem kleinen Parteitag vorstellte. Auch später als Ministerpräsident griff Carstensen mehrfach daneben: im Ton während des Dauerzoffs mit dem Polit-Provokateur Stegner und immer wieder bei Personalentscheidungen. Sein Wunsch-Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU) warf nach nicht einmal neun Monaten das Handtuch.

Schwerer wiegt Carstensens frühe Festlegung auf Christian von Boetticher als Kronprinzen. Er galt einigen in der CDU bereits als Fehlbesetzung, als von der Liebesaffäre mit einer Schülerin noch nichts bekannt war. Für seinen Irrtum zahlte Carstensen einen hohen Preis. Im Sommer war es der Ministerpräsident, der von Boetticher die politische Dimension der Affäre deutlich machte und dem uneinsichtigen Kronprinzen den Rücktritt nahelegte.

Als noch verhängnisvoller könnte sich ein anderes Versäumnis erweisen. Carstensen hatte vor der Wahl 2005 an der Seite des damaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) einen Nordstaat ins Visier genommen, in Amt und Würden aber keinen Masterplan für eine Aufgabenverteilung im Norden erarbeitet. Das Fusionsfenster ist seit dem Rücktritt von Beusts 2010 vorerst geschlossen. Für Schleswig-Holstein könnte das bittere Folgen haben. Sollte das Land trotz Sparkurses nicht aus der Schuldenfalle kommen, droht eine Zwangsfusion, bei der Hamburg die Bedingungen diktiert.

"Peter Harry Carstensen - Ein Schleswig-Holsteiner und die Rückkehr der bürgernahen Politik", 256 Seiten, Wachholtz Verlag, 16,80 Euro