Betroffen sind Betriebe für Legehennen sowie Schweine- und Ferkelmast. Verbraucherministerin Aigner klagt über späte Information.

Berlin. Nach einer Informationspanne sind in Niedersachsen wegen Dioxinverdachts weitere 934 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt worden. Nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums vom Sonnabend sind unter anderem 110 Legehennenbetriebe, 403 Schweinemastbetriebe und 248 Ferkelmastbetriebe betroffen.

Wie Ministerin Ilse Aigner (CSU) in Berlin mitteilte, wurde ihr Haus erst am frühen Sonnabendmorgen von den niedersächsischen Behörden darüber informiert, dass ein Mischfutterhersteller in Damme mit Dioxin-Verdacht seine Lieferbeziehung zu den betroffenen Betrieben nicht mitgeteilt hatte. Von dem Betrieb sind offenbar auch Futtermittellieferungen nach Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern gegangen. Niedersachsen hat den Angaben nach die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, da von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ausgegangen werde.

Aigner forderte Konsequenzen aus der Panne. „Das ist ein Skandal im Skandal“, sagte sie. Ministerpräsident David McAllister (CDU) müsse jetzt handeln und konsequent durchgreifen. „Ich erwarte bis heute Nachmittag einen ausführlichen Bericht des Ministerpräsidenten und ich erwarte, dass er bis heute Abend personelle Konsequenzen zieht.“ (dapd)

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Nach anhaltender Kritik an ihrem Krisenmanagement im Dioxin-Skandal ist Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) mit einem Aktionsplan in die Offensive gegangen. In zehn Punkten werden darin schärfere Kontrollen von Futtermittelproduzenten und höhere Sicherheitsstandards gefordert. So will die Ministerin ein "Frühwarnsystem" installieren, um Probleme mit der Lebensmittelsicherheit zu erkennen. Amtliche Kontrollen sollen transparenter und besser werden. Sobald entdeckt werde, dass Lebensmittel mit Umweltgift belastet seien, müsse dies verpflichtend auch veröffentlicht werden.

Zweieinhalb Wochen nach der Entdeckung von dioxinverseuchtem Tierfutter kündigte Aigner zudem eine Verpflichtung für private Labore an, Grenzwertüberschreitungen den Behörden zu melden. In der Europäischen Union will Aigner schließlich eine sogenannte Positivliste durchsetzen, in der die Mittel aufgeführt sind, die bei der Futterherstellung verwendet werden dürfen. Auch will die Ministerin durch neue Vorschriften festlegen, dass Futterfette und Futterfettsäuren nicht mehr in solchen Anlagen hergestellt werden dürfen, die gleichzeitig Stoffe für die technische Industrie produzieren. Die als Verursacher des aktuellen Dioxin-Skandals geltende Firma Harles und Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen soll mit Dioxin belastete technische Mischfettsäure zu Futterfett verarbeitet zu haben.

Vor ihrem nun veröffentlichen Aktionsplan war Aigner massiv unter Druck geraten. Vor allem wurde ihr vorgeworfen, zu langsam und unangemessen auf die Verseuchung von Eiern und Fleisch reagiert zu haben. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte Aigner als "völlig überfordert" bezeichnet, Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hatte sogar den Rücktritt der Ministerin gefordert. Die Verbraucherorganisation Foodwatch nannte die Bundesregierung einen "Dienstleister der Futtermittelindustrie". Aigner sagte, in ihrem Haus wurden "alle Schritte eingeleitet, die wir einleiten konnten". Einen Rücktritt lehne sie deshalb ab. "Vielleicht hätte ich noch mehr kommunizieren müssen nach außen", räumte sie jedoch ein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab ihrer Verbraucherschutzministerin Rückendeckung. Sie habe als treibende Kraft und in richtiger Reihenfolge gehandelt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Bei der Vorstellung ihres Zehn-Punkte-Plans sagte Aigner: "Abseits der schrillen Töne der vergangenen Tage sind die meisten meiner Vorschläge auch bei der Opposition auf Zustimmung gestoßen." Zwar hatten zuvor die SPD-geführten Länder einen eigenen Katalog für sichere Futtermittel präsentiert, dennoch muss Aigner auf deren Zustimmung hoffen. Weil sie ihren Zehn-Punkte-Plan per Verordnung oder Gesetz umsetzen will, ist sie auf den Bundesrat angewiesen.

Hamburgs Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU), in dessen Ressort auch der Verbraucherschutz fällt, sieht wirkungsvolle Maßnahmen in Aigners Aktionsplan, um die Konsequenzen aus dem Lebensmittelskandal zu ziehen. "Diese stärken in erster Linie den Verbraucherschutz, ohne jedoch die Unternehmen vor unüberwindbare Schwierigkeiten zu stellen", sagte Wersich dem Abendblatt.

Von SPD und Grünen gingen die Attacken auf Aigner jedoch weiter. Künast nannte den Aktionsplan "schwammig". Die Vorschläge hätte "auch die Futtermittelwirtschaft selbst schreiben können", kritisierte die frühere Bundesverbraucherschutzministerin. Künast forderte, Aigner müsse sich endlich für eine Positivliste einsetzen. Diese soll vorschreiben, welche Stoffe bei der Tierfütterung eingesetzt werden dürfen. Aigner halte jedoch immer dagegen, dies sei nur auf EU-Ebene machbar, beklagte Künast. Dabei sei eine Positivliste nur durchzusetzen, "wenn Deutschland vorangeht". Die Lebensmittelexpertin der SPD-Fraktion, Kerstin Tack, wertete den Maßnahmenkatalog als ungenügend. Es fehlten unter anderem eine Senkung der Grenzwerte, ein Informantenschutz und die verpflichtende Prüfung jeder Futtermittel-Charge.

Aigner will ihren Plan am 18. Januar mit den Verbraucherschutzministern der Länder erörtern. Mit Blick auf diesen Termin sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), es gelte nun, "nicht nur zu reden und anzukündigen". Der Sprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch, Martin Rücker, warnte: "Es darf dieses Mal keine Kompromisse mit der Futtermittellobby geben und keine weitreichenden Ausnahmen, die die Testpflicht löchrig machen."