Am 6. Mai wählt Schleswig-Holstein den Landtag. Die CDU/FDP-Koalition glänzt vor allem in der Finanz- und schwächelt in der Schulpolitik.

Kiel. Selten hat Peter Harry Carstensen so danebengelegen. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sah in dem CDU/FDP-Wahlsieg im Herbst 2009 den Beginn einer schwarz-gelben Regierungsära, die mindestens ein Jahrzehnt währen würde. Bei allen Fragenzeichen hinter dem Ausgang der vorgezogenen Landtagswahl am 6. Mai steht allerdings bereits fest, dass es für eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition an der Förde nicht reichen wird. Die Gründe dafür liegen sowohl in Berlin, wo die FDP ums Überleben kämpft, als auch in Kiel. Carstensens "Koalition des Aufbruchs" kam nie richtig in Tritt und verabschiedet sich nach nur 30 Monaten mit einer durchwachsenen Bilanz.

Der Ministerpräsident sieht das naturgemäß anders. "Wir haben in zweieinhalb Jahren mehr erreicht als andere Regierungen in einer ganzen Wahlperiode." Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) bezieht ebenso naturgemäß die Gegenposition und wertet die schwarz-gelbe Regentschaft als Totalausfall: "Das ist die schlechteste Regierung seit Jahrzehnten." Der Kieler Politikwissenschaftler Professor Joachim Krause widerspricht Carstensen ebenso wie Stegner: "Die Wahrheit liegt wie so häufig in der Mitte." Die Regierung habe mit ihrer Sparpolitik zwar einen Pflock eingeschlagen, aber keinen Masterplan für Schleswig-Holstein entwickelt. "Es gibt kein Konzept für die Zusammenarbeit mit Hamburg und keine Strategie für die Zukunft Schleswig-Holsteins."

Prägend für die schwarz-gelbe Koalition an der Förde ist ihr Geburtsfehler. Bereits am Morgen nach der Wahl stellt sich heraus, dass CDU und FDP ihre Mehrheit im Landtag nur dem umstrittenen Wahlrecht (kein Vollausgleich der Überhangmandate) verdanken und unter dem Strich weniger Stimmen holten als SPD, Grüne, Linke und SSW. Der Streit ums Wahlrecht, das CDU und SPD 2003 beschlossen hatten, erschwert nicht nur den Start der schwarz-gelben Koalition, sondern leitet auch ihr vorzeitiges Ende ein. Im Sommer 2010 kassiert das Landesverfassungsgericht das Wahlrecht und ordnet an, die Landtagswahl 2014 um zwei Jahre vorzuziehen.

Carstensen wird nicht nur in den eigenen Reihen hoch angerechnet, dass er trotz der verkürzten Legislaturperiode und der wackeligen Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag auf seinem unpopulären Sparkurs bleibt. Schleswig-Holstein baut als erstes Bundesland mit großer Mehrheit (im Landtag zieht nur die Linke nicht mit) eine Schuldenbremse in die Landesverfassung ein und verpflichtet sich damit, seine jährliche Neuverschuldung von knapp 1,32 Milliarden Euro (2010) in zehn gleichen Schritten bis 2020 auf null zu senken.

In der Folge schnüren CDU und FDP das größte Sparpaket in der Landesgeschichte, setzen den Rotstift in fast allen Bereichen an, in den Schulen und bei der Schülerbeförderung ebenso wie beim Öko-Landbau und dem Blindengeld oder zahlreichen Vereinen und Verbänden. Carstensen räumt heute ein, dass einige Sparpläne nicht zu Ende gedacht waren, etwa der nach Massenprotesten revidierte Beschluss, die Medizinische Universität in Lübeck zu schließen. Bei der FDP kam die Einsicht später. Sie fordert erst seit Herbst, den beschlossenen Personalabbau in den Schulen (bis 2020 mehr als jede siebte Lehrerstelle) aufzuweichen.

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So oder so hat Carstensen sich mit der Kehrtwende in der Finanzpolitik seinen Eintrag in die Geschichtsbücher des Pleitelandes (27 Milliarden Euro Schulden) gesichert. Im Wahlkampf zahlt sich der Sparkurs allerdings für CDU und FDP kaum aus, zumal die Regierung selbst Zweifel am Ausmaß ihres Streichkonzerts nährt. Nach Berechnungen von Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) hat Schleswig-Holstein seine Sparvorgaben übererfüllt, sein strukturelles Haushaltsdefizit 2011 bereits um 355 auf 963 Millionen Euro gesenkt. Im Rahmen der Schuldenbremse hätte das Land im vergangenen Jahr bis zu 223 Millionen Euro mehr ausgeben dürfen. Die Opposition fühlt sich bestätigt. Sie setzt auf einen weicheren Sparkurs gerade im Schulbereich.

Die CDU trifft das besonders hart, weil die Bildungspolitik das Top-Thema im Wahlkampf und die schwarz-gelbe Bilanz in keinem anderen Bereich so dürftig ist. Carstensen selbst gibt zu, dass der versprochene Schulfrieden nicht eingetreten ist. Am Pranger steht Schulminister Ekkehard Klug (FDP), der mit Einschnitten in den Gemeinschaftsschulen und fragwürdigen Erlassen Unfrieden stiftete. Auch in vielen Gymnasien wurde eifrig gestritten, weil sie seit der Änderung des Schulgesetzes 2011 die Möglichkeit haben, vom Turbo-Abitur (G8) teils oder ganz auf das Langsam-Abi (G9) umzustellen. 15 Gymnasien machen davon Gebrauch, 84 nicht. Verantwortlich für Grabenkämpfe in Gymnasien ist nicht nur Klug. Die CDU hatte der G9-Option im Koalitionsvertrag zähneknirschend zugestimmt und ist inzwischen auf die G8/G9-Linie eingeschwenkt.

Auf die Habenseite der schwarz-gelben Koalition bucht Carstensen die günstigen Wirtschaftsdaten für Schleswig-Holstein, insbesondere den Rückgang der Arbeitslosigkeit auf im März nur noch 106 500 (7,4 Prozent). Schleswig-Holstein liegt dabei allerdings fast im Bundestrend, auch wenn Carstensen die Entwicklung im Norden als günstiger und Stegner sie als ungünstiger darstellt. Schwerer wiegt, dass CDU und FDP beim wichtigsten Infrastrukturvorhaben des Landes, der Autobahn 20, kaum vorangekommen sind. Nach wie vor ist kein weiterer Abschnitt der A 20 baureif, weil sich die Planungen verzögern. Das gilt auch für das nächste Teilstück, die Umfahrung Bad Segebergs. Obwohl die Baumittel des Bundes (150 Millionen Euro) längst bereitliegen, lässt der mehrfach verschobene Planfeststellungsbeschluss auf sich warten. Er soll kurz vor der Wahl erfolgen. Noch schlechter steht es um das Schlüsselstück der A 20, die Elbquerung bei Glückstadt. Ihre Finanzierung ist nach wie vor ungeklärt.

Stolz ist Carstensen auf einige Strukturreformen, die CDU und FDP gegen heftigen Widerstand der Opposition umgesetzt haben, etwa die Änderung des Sparkassengesetzes, mit der insbesondere der Hamburger Sparkasse der Einstieg in öffentlich-rechtliche Kassen in Schleswig-Holstein ermöglicht wird. Die Öffnungsklausel, für die finanzschwache Sparkassen wie etwa die in Südholstein gekämpft hatten, floppt allerdings schon bei der Premiere. Der Einstieg der Haspa in die Sparkasse des Kreises Herzogtum Lauenburg wird vom Bundeskartellamt vorerst gestoppt.

Offen ist auch der Ausgang der wohl spektakulärsten Strukturreform, des Alleingangs Schleswig-Holsteins bei der Liberalisierung des Glücksspiels. Mehr als 30 Unternehmen wollen aus dem "Las Vegas des Nordens" Sportwetten oder Online-Spiele wie Poker anbieten. Lizenzen hat das Land bisher allerdings noch nicht vergeben. Andere Leitprojekte, etwa der Ausbau der Windenergie, sind weniger umstritten, kommen aber nur langsam voran. Vermutlich erst zum Jahreswechsel wird sich klären, wo landesweit etwa 200 neue Windparks errichtet werden dürfen.

Abgekühlt hat sich unter CDU und FDP das Verhältnis Schleswig-Holsteins zu Hamburg. Die Verantwortung hierfür wird im Landeshaus vor allem in der Metropole gesehen, die unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) selbstbewusster denn je auftritt und mit einer eigenen Messe der traditionellen "HusumWind" Konkurrenz macht.

Einen Fahrplan für eine engere Verzahnung von Hamburg und Schleswig-Holstein ist die schwarz-gelbe Koalition schuldig geblieben. "Die Kieler Regierung hat nicht nur mit Blick auf Hamburg keine mittel- oder langfristigen Strategie entwickelt", moniert Politikwissenschaftler Krause. Dasselbe gelte für den im Zuge der Energiewende nötigen Netzausbau oder die Chance, energieintensive Betriebe etwa nach Brunsbüttel zu locken und mit Windstrom aus Offshore-Parks zu versorgen.

Verantwortlich für den Mangel an Visionen macht Krause vor allem den Regierungschef. "Es liegt an Carstensen und seinen Ministern." Sie seien eher "brave Parteisoldaten" als "große Visionäre". Aber: "Die schwarz-gelbe Regierung in Kiel ist besser als ihr Ruf."