48-Jähriger dreht 700 Filme und stellt sie ins Netz. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen Volksverhetzung

Lübeck/Grinau. Drei Computer, drei Kameras und etliche CDs, DVDs und USB-Sticks hat die Lübecker Polizei bei einer Durchsuchung im Haus eines 48 Jahre alten Mannes aus Grinau (Herzogtum Lauenburg) beschlagnahmt. Er hatte mehr als 700 Videos mit rassistischen Inhalten unter verschiedenen Pseudonymen auf eine Internetplattform gestellt. Polizei und Staatsanwaltschaft in Lübeck ermitteln gegen den Mann derzeit wegen Volkverhetzung.

Aufmerksam wurden Polizei und Staatsanwaltschaft erst, nachdem der Lübecker Grünen-Politiker Karl-Heinz Haase Anfang Dezember Anzeige gegen den Mann gestellt hatte. Durch einen Zufall war er auf der Internetplattform YouTube auf zwei Videos gestoßen, die virtuelle Stadtführungen in der Hansestadt zeigten. Der Videofilmer Uwe W. aus dem lauenburgischen Grinau hatte die Szenen aus seinem Auto heraus in Lübeck aufgenommen. Auf die Bildmitte hatte der Grinauer ein Fadenkreuz gesetzt, das wie ein Zielfernrohr wirkte. Auch Maschinengewehrsalven waren zu hören. Zudem kommentierte der Filmer Fußgänger mit Migrationshintergrund am Straßenrand mit Äußerungen wie "Türken-Tauben" oder "Früher waren sie Ziegenhirten, heute haben sie Dönerläden".

Im Gespräch mit dem Abendblatt hat Uwe W. zugegeben, dass er mehr als 700 Videos aus ganz Schleswig-Holstein ins Netz gestellt hatte und sein "Hobby" seit etwa einem Jahr betreibe. In der rechten Ecke stehe er aber nicht. Die Videos seien lediglich "Parodien".

Die Staatsanwaltschaft in Lübeck sieht dies anders. Zwar würde das umfangreiche Videomaterial noch ausgewertet, doch allein ein Video, das einen Ausflug in die polnische KZ-Gedenkstätte Auschwitz dokumentiert, erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung, das Leugnen und Verharmlosen des Holocaust, sagte Klaus-Dieter Schultz, Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft.

In dem Video ist eine asiatisch aussehende Frau, die W. "Sandy" nennt, zu sehen. Der Filmer stellt die Asiatin unter anderem vor die Verbrennungsöfen des ehemaligen Vernichtungslagers und lässt sie "Bye-bye" sagen und winken. Außerdem kommentiert er selbst die Sequenz mit den Worten "Sandy, die Öfen sind noch warm". Im Video taucht zudem ein Auto von Uwe W. immer wieder auf: ein Goggomobil mit einer 88 im Kfz-Kennzeichen (in Neonazi-Kreisen Codezahl für "Heil Hitler"), auf der Tür des Wagens stehen in schwarz-weiß-roter Schrift "Deutsches Personal, Deutsche Tugend, Deutsch Wertarbeit". Auch verharmlost W. mit einem Kommentar die Kriegsverbrechen des 1947 in Auschwitz hingerichteten Kommandanten des Lagers, Rudolf Höß.

Ob und wann es zur Anklage vor dem Landgericht in Lübeck kommt, konnte Schultz nicht sagen. "Die Ermittlungen dauern noch an. Das Material ist sehr umfangreich." Die Auswertung werde mindestens zwei Monate andauern. Je nach Schwere des Tatbestands der Volksverhetzung erwarten W. bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.

In Grinau selbst wird das fragwürdige Hobby des Mannes kaum kritisch hinterfragt. Bürgermeisterin Birgit Kraus sagte dem Abendblatt: "Es ist bekannt, dass er so eine Einstellung hat. Aber es ist jedem deutschen Bürger freigestellt, was er für eine politische Auffassung hat." Zudem sei Uwe W. ein "netter Mensch", der stets freundlich grüße und nicht auffalle - "ein ganz normaler Bürger eben".

Obwohl W. die Aufnahmen mittlerweile im Internet gelöscht hat, lassen sich noch zahlreiche ähnliche Videos mit Stadtrundfahrten mit rassistischen Äußerungen finden. W. erklärte, dass sie nicht von ihm seien. Wie die Staatsanwaltschaft dem Abendblatt nun bestätigte, werde mittlerweile auch gegen einen Lübecker ermittelt, der mit einem Fahrrad unterwegs ist und Aufnahmen macht. Schultze: "Auch der Fall wird derzeit strafrechtlich geprüft."

Der Lübecker Karl-Heinz Haase, der auf die Videos aufmerksam wurde, kritisiert Polizei und Staatsschutz. "Die Szene wird einfach nicht genug beobachtet." Auf die Frage, warum die Behörden von den Internet-Videos nicht früher etwas mitbekommen haben, antwortete Innenminister Klaus Schlie dem Abendblatt: "Das waren Videos auf dem Internetportal YouTube. Dort gibt es Millionen Videos. Wenn da ein Film strafrechtlich relevante Inhalte hat, fällt das nur zufällig auf. Wir können diese riesige Datenmenge nicht systematisch unter die Lupe nehmen, das ist personell nicht zu leisten."