Die Deutschen trinken immer weniger Bier. Doch ein kleiner Hersteller steigert den Absatz kontinuierlich. Zu Besuch bei einem Erfolgsbetrieb.

Marne. "Een Lütten nehm, is noch lang keen supen" steht mit verschnörkelter Schrift an der Wand des urigen Brauereikellers. Frei übersetzt: Ein kleines Bierchen ist noch lange kein Saufgelage. Walter Schmidt zeigt stolz Keller her. "Hier!", sagt er und deutet auf eine Holzfigur. "Das ist Gambrinus, der Schutzheilige der Brauer." Schmidt zeigt auf die Fotos an den Wänden, die die Geschichte seiner Brauerei dokumentieren. Er zeigt das Portraitbild von Hinrich Hinz, der zu Lebzeiten aussah wie Alfred Hitchcock, und den alle deshalb "Hitchcock" nennen. "Hitchcock" führte das Unternehmen in zweiter Generation, mittlerweile sind es seine Urenkel, denen die Firma gehört.

Walter Schmidt könnte ein Museumsführer sein, so begeistert zeigt der 58-Jährige das Wohnhaus der alten Unternehmerfamilie Hinz, die bis 1989 hier lebte. Schmidt führt durch das Schlafzimmer der Großmutter Hinz, das Wohnzimmer, die ehemalige Küche, das Kaminzimmer. Es riecht ein wenig muffig hier.

Doch das Wohnhaus ist kein Museum. Es ist die Firmenzentrale der Dithmarscher Brauerei. Schmidts Büro ist in Omas Schlafzimmer, der Konferenzraum im ehemaligen Wohnzimmer, das Labor befindet sich in der alten Küche, der Vertriebschef residiert im Kaminzimmer.

Bis vor drei Jahren war Walter Schmidt Geschäftsführer der Hasseröder Brauerei - dann wurde der Konzern vom internationalen Bierriesen Inbev gekauft. "Das war nicht mehr meine Welt", sagt Schmidt. Er warf hin - und zog nach Marne, aufs platte Land, wurde Geschäftsführer der Dithmarscher Brauerei. Viele Branchenkollegen erklärten ihn für verrückt.

Heute zollen sie ihm Anerkennung: Über 180 000 Hektoliter Bier (18 Millionen Liter) verkaufte die kleine Brauerei aus Marne im vergangenen Jahr - 4,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch 2008 konnte Schmidt gute Zahlen vermelden: 8,5 Prozent mehr Bier verkaufte seine Brauerei damals. Die Zahlen sind beachtlich, weil der Absatz der gesamten Bierbranche seit Jahren rückläufig ist und auch 2009 um fast drei Prozent zurückging. Auf dem Markt gibt es Überkapazitäten von 30 Prozent. Der dänische Bierkonzern Carlsberg (Astra, Holsten, Duckstein, Lübzer) musste vor Kurzem einräumen, dass im vergangenen Jahr in Deutschland nur noch 5,3 Millionen Hektoliter Bier verkauft wurden - nach 6,23 Millionen im Vorjahr. Allerdings hat sich Carlsberg auch von einigen Biermarken getrennt.

Gemessen an Branchenriesen wie Oettinger, Krombacher und Bitburger ist die Dithmarscher Brauerei ein Winzling. Dennoch: Im Vergleich zu den Großen haben die Dithmarscher in der Krise vieles richtig gemacht.

Die Dithmarscher Brauerei ist ein Jahr älter als die Vereinigten Staaten von Amerika. 1775 wurde sie von der Familie Hinz gegründet. Vor hundert Jahren gab es in der Region noch 23 Brauereien. Als Carl Linde die Kältemaschine erfand, die das Bier haltbar machte, nahm der Bierkonsum stetig zu. Der Trend hielt bis zu den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Alle Brauereien in der Umgebung mussten schließen, weil sich das Brauen nicht mehr rechnete.

Vor 15 Jahren wäre auch die Dithmarscher Brauerei fast pleitegegangen. Eigentlich ist die Situation der Brauerei damals mit der Situation vieler Brauereien heute zu vergleichen: In den 80er-Jahren war das Unternehmen um das 15-fache gewachsen - viel zu schnell. Denn das Wachstum wurde zur Kostenfalle: Die Firma musste immer mehr Bierflaschen und -kästen einkaufen, da der Rücklauf des Leerguts von den Verbrauchern über den Handel bis zurück zur Brauerei teilweise ein halbes Jahr dauert. Das war der Zeitpunkt, als sich die Gebrüder Hinz aus dem Unternehmen zurückzogen und einen externen Manager holten. Seitdem ist Schluss mit der Expansion um jeden Preis: "Zwei, drei, vier Prozent Wachstum sind völlig in Ordnung. Wir brauchen keine hektischen Ausschläge nach oben", sagt Schmidt.

Der Markt für Dithmarscher Bier erstreckt sich zunächst über die Region zwischen Elbe, Eider, Nordsee und Nord-Ostsee-Kanal - aber vor allem auch Hamburg. "In Hamburg sind wir noch lange nicht am Ende unserer Möglichkeiten", sagt Schmidt. 20 Prozent seines Biers verkauft er an Gastronomen, den Rest an den Handel. Vor allem das Landestypische versucht er in der Werbung herauszustellen: Auf dem Etikett des "Urtyp" prangt ein Rettdachhaus, im Radiowerbespot tuckert ein Fischkutter, Schafe blöken.

"Bier muss Bier bleiben", sagt Walter Schmidt. Die Konkurrenz versucht, mit exotischen Biermixgetränken aus der Krise zu kommen. Verzweiflungsakte seien das, wenn man "noch ein bisschen Banane" ins Bier gibt. In Dithmarschen gibt es lediglich fünf Biersorten.

50 Mitarbeiter hat die Brauerei - 30 davon arbeiten in der Produktion, der Rest in der Verwaltung und im Außendienst. Es kann immer nur ein Lastwagen durch das Werkstor fahren - zu eng ist der Hof der Brauerei. Acht Laster kommen am Tag. Weil die Firma mitten im Ort liegt, darf nur von sieben Uhr morgens bis 22 Uhr abends gearbeitet werden, am Wochenende gar nicht. Aus Rücksicht gegenüber den Nachbarn.

Neben dem alten Geschäftshaus steht das Brauhaus. Auch wenn das Gebäude von 1903 ist - innen drin steckt neueste Technik. In der einzigen Sudpfanne werden Hopfen und Malz in Wasser gelöst und in die Gär- und Lagertanks geleitet. In diesem Jahr stellt die Brauerei auf das energiesparende Schonkochverfahren um, um 30 Prozent Energie zu sparen. Per Computer steuert Braumeister Hans Senff den Produktionsprozess, achtet darauf, dass der Kohlensäuregehalt, die Stammwürze und die Gärkurve stimmen. Vier Wochen dauert der Brauprozess. In der Abfüllanlage werden die Flaschen gewaschen, befüllt und mit Etiketten versehen. Thomas Schmidt, seit über 20 Jahren in der Firma, passt auf, dass alle Maschinen funktionieren. Fluktuation gibt es hier kaum, die Mitarbeiter kommen alle aus der Region und identifizieren sich mit dem Familienbetrieb.

In diesem Jahr will Brauereichef Schmidt Roboter kaufen, die Bierkästen von der Palette abladen. Insgesamt will er eine halbe Million Euro investieren - ohne Schulden zu machen. "Wir zahlen alles cash", sagt er. Provozieren will Schmidt die großen Bierkonzerne aber nicht allzu sehr. Er weiß: Sie könnten ihm das Geschäft verderben, indem sie den Dithmarscher Biermarkt mit Billigbier überschwemmen und sich danach wieder zurückziehen.

Ein bisschen lästern muss aber sein. Gerne erzählt Schmidt auch die Geschichte von der Telefonhotline der Großkonzerne. "Wenn man da anruft, landet man in einem Callcenter in Ungarn", sagt er. Wenn man die Telefonhotline von Schmidts Brauerei anruft, landet man in Marne, in der Telefonzentrale bei zwei Azubis. In der muffigen Empfangshalle.