In Nebraska gibt es bereits viele Häuser aus Stroh. Eine Familie in Adendorf bei Lüneburg hat sich von den Vorzügen überzeugen lassen. Ihre Bank ebenfalls

Mama, bauen die hier jetzt einen Bauernhof?“ Konstantin Paus muss lachen, als er von der Reaktion des Nachbarjungen auf sein ungewöhnliches Bauprojekt erzählt. Obwohl sich auf gemähten Feldern die großen Rollen häufen, gehören Häuser aus Stroh hierzulande nicht gerade zum Standard. Und wenn auf einer Baustelle ein Trecker mit Anhänger Strohballen liefert, ist die Irritation schon mal groß.

Seit gut einem Dreivierteljahr wohnt Familie Paus nun im neuen Strohhaus. Von einem Bauernhof ist nichts zu sehen, stattdessen ziert ein großzügig gestalteter Winkelbungalow mit 165 Quadratmetern Wohnfläche das Grundstück in Adendorf bei Lüneburg. Von der unkonventionellen Bauweise sieht man allerdings nichts. Dafür einen 56 Quadratmeter großen, offenen Wohn- und Essbereich mit halb offener Küche, von dem die anderen Zimmer der vierköpfigen Familie abgehen. Viel Platz zum Leben für die Eltern Konstantin und Veronika und ihre beiden kleinen Kinder.

„Es gab Dinge, vor denen wir erst einmal Bedenken hatten, bevor wir uns intensiv mit Stroh als Baumaterial beschäftigten“, erinnert sich Konstantin Paus. „Was ist mit Mäusen, was mit Feuer, was mit Feuchtigkeit?“ Schnell lernten der junge Staatsanwalt und seine Frau, dass sich Mäuse in den Wänden nicht wohlfühlen, weil es dort für sie nichts mehr zu fressen gibt: „Der Halm ist abgeerntet, und das Stroh mögen Mäuse nicht.“

Gegen Feuchtigkeit von außen hilft der Kalkputz mit wasserabweisendem Fassadenanstrich. Dank Lehmputz im Inneren sind die Wände diffusionsoffen. Dringt Feuchtigkeit ein, kann sie auch wieder entweichen. Zudem laufen Wasserleitungen nicht in der Wand, sondern im Fußboden. In den Wänden befinden sich lediglich Elektroleitungen. Auch das Brandrisiko klärt sich bei näherer Betrachtung. „Man kann sich das vorstellen wie bei einem Telefonbuch“, sagt Paus, „ist es aufgeschlagen, brennt es hervorragend, geschlossen dagegen nicht, denn es kommt kein Sauerstoff zwischen die Seiten.“ Ähnlich verhält es sich mit den Strohballen. Sie werden vor dem Einbau gepresst. Die Feuerbeständigkeit einer Strohwand ist besser als bei manchem Wärmedämmverbundsystem.

Stroh findet sich in derselben Baustoffklasse wie Holz. „Wir haben eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung dafür. Es gilt als normal entflammbar“, bestätigt der zuständige Architekt und Strohbauexperte Dirk Scharmer, der auch an der Planung des gerade fertiggestellten fünfgeschossigen Stroh-Neubaus des Norddeutschen Zentrums für Nachhaltiges Bauen, NZNB, in Verden beteiligt war.

Davon, dass das Prinzip funktioniert, haben sich die Pausens vorab in anderen Projekten überzeugt, beispielsweise im Ökodorf Sieben Linden. Dort stehen Strohhäuser bereits seit rund zehn Jahren. Entwickelt wurde die Bauweise in den USA. „In Nebraska sind die ältesten Strohhäuser bereits 100 Jahre alt. Das Stroh dort hat sich völlig ohne Pilzbefall, Schimmel und Mäuse erhalten“, sagt Scharmer. „Ich habe geöffnete Wände gesehen, in denen sich nahezu unversehrte Strohballen befanden.“ Die Gegend biete wenig Holz, dafür umso mehr Präriegras. „Man kann also sagen: Die ersten Häuser mit passivhaustauglichen Wänden wurden ihrer Zeit voraus in Amerika errichtet. Stroh ist damit der älteste Hochleistungsdämmstoff überhaupt.“ Die Dauerhaftigkeit war für Familie Paus nicht das zentrale Thema, auch wenn die eingesetzte Technik natürlich ein langes Gebäudeleben verspricht und auch die Banken das so sehen – Strohhäuser werden dort wie Holzständerbauten behandelt. „Wir haben nicht den Anspruch, für unsere Nachfahren ein Haus zu bauen, sondern für uns. Die Entwicklung wird weitergehen. Kauft man heute ein Haus aus den 50er- und 60er-Jahren, wird man damit nicht glücklich“, sagt der 40-Jährige. Ein großer Umbau sei meist nötig. Das komme finanziell und energetisch einem Neubau fast gleich. „Wir bauen ein Haus, das wir für zukunftssicher halten. Falls unsere Nachwelt das nicht so sieht, bleiben aber zumindest keine großen Schuttberge übrig.“

Und genau das ist wohl der entscheidende Vorteil des Baustoffs Stroh, denn betrachtet man die Gesamtenergiebilanz von der Herstellung bis zur Entsorgung, ist diese Bauweise konventionellen Gebäuden bei Weitem überlegen. Scharmer unterstreicht das mit einer eindrucksvollen Zahl: „Zwischen einem mit konventionellen Dämmstoffen und einem mit Stroh gedämmten Einfamilienhaus liegt eine Energiedifferenz, die 400.000 Kilometern Autofahrt entspricht. Die Wahl der Bauweise macht also etwa die Lebensfahrleistung aus.“ Das Material falle bei der Nahrungsmittelproduktion quasi ohne zusätzlichen Aufwand an, so der Strohbauexperte. Am Ende der Lebenszeit blieben nur vergleichsweise geringe Abfallmengen.

Dabei kommt die ökologische Baustoff-Alternative Baufamilien noch nicht mal übermäßig teuer. „Im Vergleich zu der günstigsten Lösung, Kalksandstein mit einem Wärmedämmverbundsystem, liegen wir bei zehn Prozent Mehrkosten. Dafür bekommt man allerdings erheblich mehr Wohnqualität“, sagt Scharmer.

Diese Bauweise ist um vieles besser als konventionelle Lösungen

Derzeit werden nur etwa fünf Prozent der Gebäude wirklich ökologisch erstellt, so der Branchenkenner. Viele Bauwillige denken aber bereits über energetische Aspekte nach und stellen fest, dass man dabei nicht nur den Verbrauch des Hauses betrachten darf, sondern die Grenzen weiter ziehen muss. Architekt Scharmer resümiert: „Ich will niemandem die Bauweise verkaufen, weil wir damit die Welt retten können, sondern weil sie um vieles besser ist als konventionelle Lösungen. Will man das Klima schützen und die Ressourcen erhalten, muss man irgendwann vom Wissen zum Handeln kommen. Das Bauen mit Stroh bietet dazu eine gute Gelegenheit.“

Momentan allerdings vor allem in Neubaubereich. Bis zum Einsatz bei der Sanierung von Bestandsgebäuden sei noch einige Entwicklungsarbeit zu leisten, schränkt Scharmer ein.