Die Idee der Baugemeinschaften ist alt, findet in Hamburg aber immer mehr Zuspruch. Ihr Ziel: preiswerte, helle und hygienisch einwandfreie Wohnungen für „den kleinen Mann“ zu bauen. Eine Win-win-Situation, von der alle profitieren.

Die Idee ist nicht neu, und sie lässt sich in einem Satz zusammenfassen. „Was du nicht alleine vermagst, dazu verbünde dich mit anderen, die das Gleiche wollen.“ So hat es Hermann Schulze-Delitzsch, einer der Gründungsväter der deutschen Genossenschaftsbewegung, vor 170 Jahren formuliert. Damals wurden die ersten Konsum-, Produktions- und Spargenossenschaften gegründet. Anfang der 1890er-Jahre folgten – nach einer Neuformulierung des Genossenschaftsgesetzes – viele Wohnungsbaugenossenschaften. Ihr Ziel: preiswerte, helle und hygienisch einwandfreie Wohnungen für „den kleinen Mann“ zu bauen.

Mehr als 130.000 Wohnungen befinden sich im Norden in ihrem Bestand

Baugenossenschaften fanden immer dann großen Zuspruch, wenn Wohnraum knapp war und der Markt die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum nicht befriedigen konnte. Das war im Kaiserreich so, in der Weimarer Republik und in der Wiederaufbauzeit im Nachkriegsdeutschland. Von den vielen Hamburger Baugenossenschaften sind nach zahlreichen Zusammenschlüssen 30 übrig geblieben, die inzwischen über einen Bestand von 130.000 Wohnungen in allen Hamburger Bezirken und im Umland verfügen.

Was unterscheidet eine Wohnungsgenossenschaft von einem privaten Vermieter oder dem städtischen Wohnungsunternehmen SagaGWG? Die Mitglieder einer Genossenschaft erwerben Anteile am Unternehmen und werden so Miteigentümer. Als Mitglied haben sie ein lebenslanges Wohnrecht für eine Wohnung ihrer Genossenschaft. „Die Wohnsicherheit gehört zu den herausragenden Merkmalen von Genossenschaften“, sagt Petra Böhme, Vorstand des Arbeitskreises Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften. Er bildet das Dach für 30 Traditionsgenossenschaften. Ein weiteres Plus ist die demokratische Struktur von Genossenschaften. Die Mitglieder haben ein Kontrollrecht, indem sie Vertreter wählen, die wiederum den Aufsichtsrat wählen. Dieser bestellt einen Vorstand, der für das operative Geschäft zuständig ist und wiederum den Vertretern regelmäßig Rede und Antwort stehen muss. Viele Genossenschaften investieren in Maßnahmen zur Nachbarschaftsförderung, meist in Form von Nachbarschaftstreffs, und beteiligen sich an der Quartiersentwicklung.

Außer den 30 etablierten gibt es in Hamburg auch 27 neue, meist kleinere Wohnungsgenossenschaften. Sie wurden in den vergangenen 30 Jahren gegründet und halten im Schnitt nicht mehr als 20 bis 30 Wohnungen. Der Architekt Joachim Reinig, der viele dieser Genossenschaften beraten und begleitet hat, gründete selbst 1987 die „Drachenbau St. Georg Wohnungsbaugenossenschaft“: „Wir haben damals zwei Altbauten umgebaut und zwei Neubauten errichtet. Entstanden sind so 29 Wohnungen.“ Reining rät allen Baugemeinschaften, sich als Genossenschaft zu organisieren. „Es ist die harmloseste Form des Eigentums und sichert die Verfügung über seinen Lebensraum.“ Gerade junge Leute, die nicht mehr mit hohen Renten rechnen dürfen, könnten so im Alter in einer entschuldeten Wohnung zu einer Miete wohnen, die alle Kosten abdecke. „Je mehr Eigenleistungen sie übernehmen, desto geringer ist diese Kostenmiete“, so Reinig. „Um den Mietenspiegel brauchen sie sich dann nicht mehr zu kümmern.“

In gewissen Abständen prüft ein Verband die Buchhaltung

Die meisten der jungen Genossenschaften betreiben ihre Häuser ehrenamtlich in Eigenregie. „Das ist natürlich ein Zeit- und Arbeitsaufwand“, sagt Reinig. Um zu gewährleisten, dass die Bücher ordentlich geführt werden, müssen sich Genossenschaften in regelmäßigen Abständen vom Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) prüfen lassen. „Das zwingt die wilden Kerle in der Genossenschaft, sich um eine ordentliche Buchhaltung zu kümmern“, lacht Reinig. Tatsächlich wurde die Prüfungspflicht in der Kaiserzeit eingeführt, weil viele Baugenossenschaften wegen schlechter Buchführung Konkurs anmelden mussten. Einige Hausgemeinschaften haben sich zu Dachgenossenschaften zusammengefunden, die die Verwaltung übernehmen. Die größte Dachgenossenschaft ist die Schanze Genossenschaft mit 23 Hausgemeinschaften.

Inzwischen haben sich verschiedene Formen herausgebildet. „Es gibt Häuser mit Eigentums- und Genossenschaftswohnungen“, sagt Reinig. „Alle Projekte prägt der Gemeinschaftsgedanke, nicht der, dass alle das Gleiche verdienen.“ Dennoch spielt das Geld eine große Rolle. „Die Gründung von neuen Genossenschaften ist wegen der zunehmend schwierigeren Finanzierung in den letzten Jahren immer komplizierter geworden“, bedauert Reinig. „Grundstücke werden immer teurer, und man braucht einen sehr viel höheren Eigenkapitalanteil. Ursprünglich waren es zehn, inzwischen sind es bis zu 25 Prozent.“ Insbesondere das knappe städtische Bauland hat zu neuen Allianzen zwischen Baugemeinschaften und Alt-Genossenschaften geführt. 20 Prozent der als Bauland vorgesehenen städtischen Flächen sind für Baugemeinschaften vorgesehen. Weil diese aber meist finanziell schwach aufgestellt sind, schlüpfen immer mehr unter das Dach einer Alt-Genossenschaft. Gemeinsam bewerben sie sich dann um ein solches Grundstück. „Ohne die Baugemeinschaften würden die Alt-Genossenschaften nie an diese Grundstücke kommen“, sagt Reinig.

Öffentliche Grundstücke dürfen nur an Bewerber mit plausiblem Konzept verkauft werden. Darunter fällt „Bauen mit einer Baugemeinschaft“. In einem Neubau erhalten Mitglieder der Baugemeinschaft, die vorab der Alt-Genossenschaft beigetreten sind, nicht nur Wohnraum und Gemeinschaftsräume, sie dürfen auch Nachmieter bestimmen. Eine Win-win-Situation für alle: Die Baugenossenschaft erhält ein Grundstück, die Baugemeinschaft Wohnungen mit Sondernutzungsrechten, und der Senat erfüllt sein Versprechen, Grundstücke für Baugemeinschaften zur Verfügung zu stellen.

Ein anderes Modell erprobt derzeit die Baugenossenschaft Freier Gewerkschafter (BGFG). Sie hat mit den Mitgliedern der Baugemeinschaft GiG vereinbart, dass deren Mitglieder in ein Bestandshaus am Hansaplatz (St. Georg) einziehen können. „Da das Haus aber noch von anderen bewohnt wird, geht das nur im Rahmen der normalen Fluktuation“, sagt BGFG-Vorstand Ingo Theel. „Von 30 Mitgliedern der Baugemeinschaft wohnen bereits 16 dort.“ Die GiG wolle jetzt den Innenhof verschönern, freut sich Theel.

Doch die alten Mieter des Hauses wollen weder die Verschönerung noch den Einzug weiterer GiG-Mitglieder. Theel kann dies nicht nachvollziehen: „Wir haben alles kommuniziert, damals hat es keinen Widerspruch gegeben.“

In den kommenden Wochen stellen wir Alt- und Jung-Genossenschaften mit aktuellen Bauvorhaben in den Hamburger Bezirken vor.