Den Anfang machte 1886 der Dovenhof, das Chilehaus soll jetzt zum Weltkulturerbe werden

Anfang der 1920er-Jahre erreichte die seit 1905 betriebene Sanierung der Altstadt durch Abriss das an die Speicherstadt grenzende Quartier. Während der Senat noch vor dem Ersten Weltkrieg Wohnungen an der Stelle geplant hatte, wollte man jetzt Kontorhäuser, für die es eine große Nachfrage gab.

Als Kontorhaus wurden damals Gebäude bezeichnet, die in der Zeit zwischen 1886 und 1938 nach nordamerikanischem Vorbild zur ausschließlichen Unterbringung von Büroräumen der (Handels-)Unternehmen entworfen und gebaut wurden. Der Schwerpunkt der Verbreitung liegt in den norddeutschen Hafenstädten. Der Haustyp zeichnet sich durch eine konstruktionsbedingte Flexibilität in der Raumaufteilung aus. Die Kontorhäuser wurden nicht für die Nutzung durch eine einzelne Firma oder die Verwaltung eines Konzerns konzipiert, sondern sollten von vornherein an zahlreiche Mieter vermietet werden - in vielen Fällen ein Bau als Renditeobjekt. Der erste deutsche Prototyp entstand 1886 in Hamburg - der Dovenhof.

Zu den Architekten, die in der Hamburger Altstadt bauen wollten, zählten auch die Brüder Hans und Oskar Gerson. Sie rechneten fest damit, dass ihr Auftraggeber, die Warburg-Bank, das neben der Landherrenschaft am Klingberg gelegene Grundstück ersteigern würde. Und so kauften sie angesichts der drohenden Inflation schon mal 4,8 Millionen Klinkersteine für den Bau. Doch die Bank kam nicht zum Zuge, sondern der im Chile-Salpeterhandel reich gewordene Kaufmann Henry B. Sloman. Er verfügte über ausreichend inflationssichere Devisen. Die Klinker übernahm er gleich mit.

Sloman schrieb einen Architektenwettbewerb aus, den Fritz Höger gewann. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinen Bauten an der Mönckebergstraße, darunter das Klöpperhaus, einen Namen gemacht. Höger galt als Vertreter der Heimatschutzbewegung, der sich für einen kunstgewerblich geprägten norddeutschen Stil einsetzte. Der Sachlichkeit der Bauhausarchitektur setzte er sein "Neues Bauen" entgegen.

Der Ziegel als norddeutsches Baumaterial nahm in seiner Architektur eine Schlüsselstellung ein. Und dennoch soll er über die Millionen von dunkel gebrannten Bockhorner Klinker, die er verbauen sollte, gestöhnt haben: "Was soll ich mit dem Dreck machen?" Später, als das 1922-24 erbaute Chilehaus zur Ikone der Hamburger Kontorhausarchitektur und zum Wahrzeichen der Handelsstadt geworden war, bezeichnete er den Bockhorner Klinker als "Kristall der neuen Baukunst".

Der Kontorhaustyp hatte sich seit dem Bau des Dovenhofs, entworfen von Martin Haller, in Hamburg etabliert. Mehr als 100 Kontorhäuser entstanden seitdem in der City und der Neustadt.

Die einzelnen Kontore konnten flexibel gestaltet werden, da die Häuser über eine Stahlskelettkonstruktion verfügten. Und sie alle hatten im Erdgeschoss Läden. An dieses Konzept hielt sich auch Fritz Höger beim Bau des Chilehauses. Aber er entwickelte eine neue Architektursprache, indem er die Fassade ornamental mit Klinker gestaltete.

Der geschwungene, dynamische Bau auf dem spitz zulaufenden Grundstück mit seinen Staffelgeschossen und dem Bug, der mit einem Andenadler als Galionsfigur geschmückt war, ist immer wieder mit einem Schiff verglichen worden. Zur Wirkung des Hauses trugen auch die Skulpturen des Bildhauses Richard Kuöhl bei. Die torartige Durchfahrt, die beide Gebäudehälften als Fußgängerpassage trennt, war von Höger als Zugang zur Speicherstadt geplant. Die heutige Willy-Brandt-Straße gab es damals noch nicht, und der Weg durch das Chilehaus führte direkt auf die mittelalterlich historisierende Wandrahmbrücke zu. Die sollte an das alte Gängeviertel erinnern.

Diesen Baustil, über den Höger selbst sagte, dass er "einstweilen noch nicht getauft" sei, setzte er auch bei anderen Bauten um - so beim Sprinkenhof und dem Broschek-Haus an den Großen Bleichen, dem heutigen Renaissance-Hotel. Der dunkle Klinker der Brüder Gerson war zu seinem Material geworden. Die Brüder Gerson durften übrigens doch noch im neuen Kontorhausviertel bauen. Die Entwürfe für das Ballinhaus - dem heutigen Meßberghof - und für Teile des Sprinkenhofs stammen aus ihrem Büro.