Meist werden Sachverständige von Gerichten oder Verkäufern um eine Bewertung von Immobilien gebeten

"800 000 Euro". Das war die Zahl, die der Auftraggeber des Gutachtens, ein Hamburger Amtsgericht, lesen wollte. Im Zuge einer Zwangsversteigerung musste das Gericht feststellen lassen, wie hoch der Verkehrswert der Immobilie war. Um diesen exakt zu ermitteln, hatte der Sachverständige Hauke Kruse viel Arbeit investiert und diese in seinem 36 Seiten umfassenden mit 28 Anlagen versehenen Gutachten dokumentiert. Diese Dokumentation reicht von der Grundstücks- und Baubeschreibung über die Bewirtschaftungskosten bis zu den Boden-, Sach- und Ertragswerten und anderen "Bewertungsparametern".

"Meistens werden wir von Gerichten, Wohnungsunternehmen oder gemeinnützigen Organisationen beauftragt, Gutachten anzufertigen", sagt der 47-jährige Hamburger. Privatpersonen würden sich nur in Ausnahmefällen an einen Gutachter wenden. "Meistens dann, wenn zur Beilegung eines Streitfalls, sei es eine Erbschafts- oder eine Scheidungsauseinandersetzung, eine neutrale Bewertung einer Immobilie notwendig ist", so Kruse. Denn ein Gutachten diene nicht nur der gerichtlichen Klärung eines Rechtsstreits, im besten Falle schlichte es vorweg, sodass es gar nicht erst zu einem Prozess komme. Ein Sachverständiger müsse sein Gutachten deshalb so verfassen, dass schwierige und komplexe Sachverhalten auch für Laien nachprüfbar und nachvollziehbar seien.

Dass eine Privatperson vor dem Kauf einer Immobilie ein Gutachten anfertigen lasse, komme eher selten vor. "Entsprechende Anfragen hat man schon mal", so Kruse. "Aber zum einen wollen diese dann das Gutachten meistens innerhalb von drei Tagen haben, was unmöglich ist. Und zum anderen nützt ein solches Gutachten auch nur bedingt. Wenn der Verkäufer 400 000 Euro verlangt und ich feststelle, dass die Immobilie nur 300 000 Euro wert ist, wird der Kaufinteressent den Preis nicht automatisch um 100 000 Euro drücken können." Außerdem sei vielen ein Gutachten letztlich zu teuer. Für ein Einfamilienhaus mit einem Verkehrswert von 400 000 Euro fielen Kosten von rund 2000 Euro an, die je nach Aufwand auch höher liegen könnten. Von der Steuer könnten diese Kosten in der Regel nicht abgezogen werden.

Häufiger ist die umgekehrte Situation: Ein Verkäufer wendet sich an einen Gutachter, um den Wert seiner Immobilie ermitteln zu lassen. "Viele sind unsicher, was sie verlangen können.", so Kruse. Das gelte insbesondere für gemeinnützige Organisationen, die sich gegenüber ihren Gremien bei einem Kauf oder Verkauf absichern müssten. Ein weiterer Grund für Privatleute, einen Gutachter zu konsultieren, sei eine Auseinandersetzung mit dem Finanzamt, wenn das den Wert der Immobilie höher einschätze als der Besitzer.

Der gelernte Kaufmann der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft und studierte Diplomkaufmann Hauke Kruse ist seit 2001 "von der Handelskammer Hamburg öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Grundstücken und die Ermittlung von Mietwerten". Hunderte von Immobilien hat er seitdem bewertet. "Zunächst besorgen wir uns Einsicht in die relevanten schriftlichen Unterlagen. Dazu gehören der Grundbuchauszug, eine Anliegerbescheinigung, eine Auskunft aus dem Baulastenverzeichnis, eine Liegenschaftskarte sowie sämtliche Baupläne." Aus ihnen könne man schon ersehen, wie es zum Beispiel um den Erschließungszustand und mögliche Belastungen wie Wohnungs- oder Wegerechte stehe. "Wir müssen auch wissen, ob öffentliche Anschlüsse schon alle bezahlt worden sind. Das kann ansonsten für einen Käufer teuer werden, wenn die Stadt die Rechnung schickt." Aus den Bauunterlagen könne man beispielsweise ersehen, ob Anbauten genehmigt wurden. Bei Eigentumswohnungen gehöre auch die Einsichtnahme in Teilungserklärungen, Protokolle der Versammlungen, der Wirtschaftsplan und die Wohngeldabrechnung dazu. All diese Informationen werden im Gutachten berücksichtigt.

Anschließend begeht Kruse im Beisein einer Mitarbeiterin das Objekt. Gerade bei Streitfällen komme es mitunter vor, dass nach der Besichtigung ein Antrag auf Befangenheit gestellt wird, weil man angeblich das eine oder andere gesagt haben soll, weiß Kruse. "Ich dokumentiere und begründe deshalb alles sehr sorgfältig." Es gebe auch komplizierte Fälle, bei denen ein Bau- oder ein Altlastensachverständiger hinzugezogen werden müsse. "Da geht es dann in der Regel um die Schuldfrage" erklärt Kruse. Er selbst könne Mängel wie Risse oder einen feuchten Keller konstatieren und in die Bewertung aufnehmen, aber keine Schuldfrage klären. Eine Grundstücksbewertung sei kein Baugutachten. Neben den objektiv nachweisbaren Bewertungskriterien gibt es auch noch "weiche" Kriterien, bei denen die Erfahrung des Sachverständigen gefordert ist. Befinden sich Bäume auf dem Grundstück, muss er entscheiden, ob diese den Wert der Immobilie steigern oder mindern. "Meistens stört alter Baumbestand, weil er das Haus verschattet." Auch spielt neben dem baulichen Zustand des Hauses seine Architektur und seine Anmutung eine wichtige Rolle. "Ein Kapitänshäuschen mit Elbblick muss man anders bewerten als ein von Bausubstanz und Architektur vergleichbares Haus an einer verkehrsreichen Hauptstraße", so Kruse. Wichtig für die Bewertung der Immobilie sei auch, wie sich die Nachbarbebauung optisch präsentiere. "Und wir schauen darauf, ob Läden, Kindergärten und Schulen nahe oder weiter entfernt sind."

Ein Gutachter muss neutral und sachkundig bewerten. Die eigentliche Bewertung sollte ein Sachverständiger immer mit zwei, manchmal sogar mit drei unabhängigen Verfahren durchführen. "Nur wenn alle Verfahren zu einem ähnlichen Ergebnis geführt haben oder Abweichungen erklärbar sind, kann ein Verkehrswert ermittelt werden", betont Kruse.