Nach Entkernung und Modernisierung ist neues Leben hinter historischer Fassade möglich. Beispiele aus Hamburg

Alte Gebäude gehören zum Gedächtnis einer Stadt. Deshalb werden einzelne Häuser oder ganze Straßenzüge unter Schutz gestellt, wenn sie als besonders herausragende Baudenkmäler erkannt werden. Doch nicht alle alten Häuser werden zu Baudenkmälern erklärt. Viele fallen durch das Raster.

Ein Beispiel ist das im Jugendstil erbaute Kontorhaus an der Ecke Große Johannisstraße/Rathausstraße. Das Gebäude war über Jahrzehnte vernachlässigt worden und wurde gemeinsam mit einem kleineren Nachbargebäude "zum Abriss" verkauft.

Dass der Käufer - ein Hamburger Kaufmann - es nicht gänzlich abriss, sondern die Fassaden erhielt und restaurierte, bezeichnet Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter als einen Glücksfall: "Das ist ein bürgerschaftliches Engagement, das man nicht genug loben kann." Walter weiß, dass das Entkernen eines Gebäudes ein hohes finanzielles Engagement bedeutet und ein Neubau rein betriebswirtschaftlich viel sinnvoller gewesen wäre.

Wird eine Fassade erhalten, muss nicht nur das Mauerwerk aufwendig abgestützt werden, in der Regel ist auch die gesamte Baustellenlogistik durch versperrte Zuwegungen ungleich komplizierter. Dennoch entschied sich der Investor für diesen Schritt und gab dem Büro KBNK Architekten den Auftrag, die alten Fassaden zu erhalten. "Als wir 2007 mit den Planungen begannen, wurde in Hamburg die Debatte um den Abriss alter Gebäude besonders heftig geführt", erinnert sich der Architekt Franz-Josef Nähring. Die architektonische Herausforderung, der sich KBNK Architekten stellen mussten, bestand darin, zwei historische Häuser mit ungleichen Raumhöhen, die sich in der Fensteranordnung abzeichnete, in einen Neubau mit einer einheitlichen Raumhöhe zu überführen. "Ein Treppe mit drei, vier Stufen innerhalb der Büroflächen war zu keiner Zeit eine Option", sagt Architekt Frank Birwe. Um eine durchgehende Bürofläche zu erhalten, wurden aus den Lochfassadenfenstern des einen Hauses bodentiefe Fenster. Durch zusätzliche Oberlichter fließt weiteres Tageslicht ein. 2009 war der aufgestockte Neubau hinter seinen historischen Fassaden fertig.

Wie kompliziert der Erhalt einer alten Fassade sein kann, hat das Büro abp-Architekten bei einem Bauvorhaben in der Langen Reihe in St. Georg erfahren müssen. "Das Stützen der alten Fassade und das Abfangen der Nachbargebäude waren sehr teuer", erinnert sich der Architekt Günter Wilkens. Grundsätzlich befürwortet er den Erhalt alter Gebäude, auch wenn er sich gerade in der Langen Reihe mit seiner heterogenen Bebauung auch einen Neubau hätte vorstellen können. "Der Bezirk Mitte bestand aber auf den Erhalt der alten Fassade. Eigentlich ist das keine glückliche Lösung, wenn hinter der Fassade nicht auch ein historisches Element wie ein altes Treppenhaus erhalten bleibt", sagt Wilkens. "Sonst ist die Fassade nur Furnier." Für den Investor, die Frank Gruppe, bedeutete der Erhalt der Fassade, dass die Geschosshöhen des Neubaus vorgegeben waren. "Bei extremen Geschosshöhen verliert man gegenüber einem Neubau schnell ein Stockwerk", so Wilkens. "Hier handelte es sich aber um einen alten Arbeiterwohnungsbau mit moderaten Höhen." Immerhin durfte der Neubau um zwei Staffelgeschosse mit Dachgärten aufgestockt werden.

Neue Grundrisse hinter einer historischen Fassade entstanden auch in Ottensen, wo die Architekten des Investors Bauwerk Hamburg an der Zeißstraße ein denkmalgeschütztes Sahlhaus von 1750 renovierten. Dazu Geschäftsführer Michael Huggle: "Sahlhäuser erkennt man an der typischen Fassade mit ihren drei nebeneinander liegenden Türen. Die beiden äußeren führen in die beiden Erdgeschosswohnungen, die mittlere über eine Treppe in die beiden oberen Wohnungen." Nach der Entkernung des Gebäudes war die mittlere Tür eine Blindtür ohne Funktion. Aus ehemals vier Arbeiterwohnungen wurden zwei nebeneinander liegende Stadthäuser mit jeweils 100 Quadratmetern. "Es war schwierig, mit der alten, maroden Bausubstanz umzugehen" erinnert sich Huggle. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Der historische Charakter und damit das Gedächtnis der Stadt wurden bewahrt.