Als Bausenator von Altona schuf Gustav Oelsner 1927 einen auffallenden Wohnblock

Was für Hamburg Fritz Schumacher ist, ist Gustav Oelsner für Altona. Schumacher hat als Baudirektor das städtebauliche und architektonische Bild der Hansestadt in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts geprägt. Oelsner hat die bis 1937 selbstständige Stadt Altona als Bausenator an der Seite des Oberbürgermeisters Max Brauer in die architektonische Moderne geführt. Seine Gebäude mit ihren charakteristischen ockergelben und roten Ziegeln prägen noch heute das Bild einiger Straßenzüge in Ottensen und Bahrenfeld.

Altona mit seinen Industriestadtteilen Ottensen und Bahrenfeld brauchte nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur zeitgemäße Schul- und Verwaltungsbauten wie die von Oelsner gebaute Gewerbeschule schräg gegenüber dem Altonaer Rathaus oder sein Arbeitsamt an der Kieler Straße, es brauchte vor allem neue, helle und moderne Wohnbauten für die Industriearbeiter. Die Mietshäuser in den Arbeiterquartieren spotteten den Ansprüchen, die man damals ans Wohnen zu stellen begann. Die Bewohner mussten sich mit Gemeinschaftstoiletten im Treppenhaus und dunklen, für Familien mit zwei, drei Kindern viel zu kleinen Wohnungen abfinden. In Altona herrschte Wohnungsnot. Inzwischen sind diese Altbauwohnungen, restauriert und modernisiert, begehrte Wohnungen im Szenequartier Ottensen. Zu Gustav Oelsners Zeiten war man froh, wenn man ausziehen konnte - sei es in eine Baugenossenschaftswohnung oder in eine Saga-Wohnung.

Die städtische, gemeinnützige Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona war 1922 von Max Brauer gegründet worden, damit der Wohnungsbau nicht länger vom Profitdenken privater Investoren abhing. Das erste Prestigeprojekt der Saga war die Gartenstadt Steenkampsiedlung. Die großen Wohnbauten, die Gustav Oelsner zwischen 1926 und 1928 verwirklichte, unterscheiden sich in der Formensprache nur unwesentlich von denen, die der Hamburger Baudirektor Schumacher in der Jarrestadt, in Dulsberg oder auf der Veddel baute. Aber anders als die dunklen, fast schwarzen Hamburger Wohnblöcke, waren die meisten Oelsner-Bauten heller und freundlicher. Er baute mit verschiedenfarbigen Ziegeln, die die Fassaden gliederten.

Eines seiner Gebäude in Bahrenfeld hat wegen dieser Fassadenstruktur und seiner halbrunden Form den Spitznamen "Schichttorte" erhalten. 1927/28 bebaute Oelsner die spitz zulaufende Straßenecke Bahrenfelder Steindamm/Thomasstraße mit einem Wohnblock mit 83 Wohnungen. Anders als der Architekt Fritz Höger, der das Chilehaus im Hamburger Kontorhausviertel auf einem ähnlich geschnittenen Grundstück bis in die Ecke spitz zulaufen ließ, sah Oelsners Entwurf an der Straßenecke eine runde Fassade vor. So entstand vor dem Gebäude, in dessen Erdgeschoss Läden untergebracht waren, ein Vorplatz. Die Fassade war nicht nur durch die parallel laufenden, verschiedenen Ziegelschichten gegliedert, sondern auch durch große Fenster. So hatte er, obwohl die Bauordnung ein fünfstöckiges Gebäude zuließ, nur ein vierstöckiges Gebäude mit Flachdach gebaut. Dadurch konnte auch der Innenhof und die Loggien, die vor den Küchen lagen, ausreichend belichtet werden.

Dieses Gebäude zählte zu den herausragenden Beispielen des Neuen Bauens, dem Oelsner sich verpflichtet fühlte. Den Nazis gefiel dieser Stil nicht. Er entsprach nicht "dem Verständnis arischer Architektur". 1933 erhielt Oelsner ein Berufsverbot, 1939 emigrierte er in die Türkei. Auch seine Bauten wurden von den Nazis verändert. Sie erhielten hohe Satteldächer, wodurch die ehemaligen Speicherböden zu Wohnungen ausgebaut werden konnten. Dieses Schicksal blieb auch der "Schichttorte" nicht erspart. Durch diese Baumaßnahmen wurde nicht nur der Innenhof dunkler, sondern die gesamte Gebäudestruktur verlor ihre klare, moderne Prägnanz und wurde bürgerlich-langweiliger. Geblieben sind die Fassade und der Spitzname.