Es ist ein grauer Dezembermorgen. Rund 15 Personen haben sich in Raum 224 des Amtsgerichts-Mitte eingefunden, um einer Zwangsversteigerung beizuwohnen. Unter den Hammer kommen soll ein 1929 errichtetes Einfamilienwohnhaus im Hamburger Westen mit einer Wohnfläche von etwa 115 m⊃2;. Gemäß dem Gutachten beträgt der Verkehrswert 230 000 Euro. Unter den Anwesenden sind der Vertreter der Gläubiger, der Rechtsanwalt der Mieter, nicht aber die Besitzer des Hauses. Sie wollen es sich ersparen, an der Zwangsversteigerung teilzunehmen.

Nachdem der Rechtspfleger die Objektdaten, die Versteigerungsbedingungen sowie den Betrag für ein Mindestgebot verkündet hat, wird die mindestens 30 Minuten dauernde Bietstunde eröffnet. Wenig später bietet ein junger Mann, nachdem er sich ausgewiesen und die notwendige Sicherheit in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes vorgelegt hat, 115 000 Euro für das Haus. Das entspricht der erforderlichen Hälfte des Verkehrswertes. Danach bietet für lange Zeit niemand mehr. Stille im Saal, die Spannung steigt. Wenige Minuten vor Ablauf der Bietzeit erhöht der Kaufinteressent sein Angebot auf 128 000 Euro. Dieses ruft der Rechtspfleger schließlich dreimal auf. Nachdem kein höheres Gebot erfolgt, erklärt er das Bietverfahren für geschlossen. Dennoch hat der Bieter keinen Grund, sich über ein frühzeitiges Weihnachtsgeschenk zu freuen: Der Gläubigervertreter macht von seinem Recht Gebrauch, dem Gebot nicht zuzustimmen. Somit kann der Rechtspfleger den Zuschlag nicht erteilen.

Stattdessen setzt er einen weiteren Termin in einer Woche fest, um den Gläubigern Bedenkzeit zu geben. Doch da kommt es ebenfalls nicht zum Zuschlag, sodass der Bieter sich weitere sechs Monate gedulden muss, um sein Traumhaus bei einem zweiten Versteigerungstermin ersteigern zu können.

Die Chancen dafür stehen gut, da der gebotene Preis in jedem Objekt nur einmal verweigert werden kann. "Um bei Zwangsversteigerungen eines der sehr raren echten Schnäppchen machen zu können, benötigt man einen langen Atem. Die Eigentümer versuchen meist bis zuletzt, das Eigentum für sich zu retten. Daneben benötigt man viel Glück, da bei vielen Zwangsversteigerungen unangenehme Überraschungen lauern können", sagt Rechtsanwalt Guido Gemoll. Er ist seit 16 Jahren als Rechtsanwalt im Bereich des Immobilienrechts und seit 1998 für die Hamburger Amtsgerichte als Zwangsverwalter und Verfasser von Verkehrswertgutachten tätig. Wie Gemoll weiter berichtet, hätten Bietinteressenten gegenüber Erwerbern im freien Verkauf oftmals den Nachteil des Informationsdefizits. Eine Besichtigung der Immobilie sei häufig nur von außen möglich, weil die Schuldner und Mieter Besichtigungswünsche ablehnen. Der angehende Eigentümer weiß also nicht, in welchem Zustand das Gebäude tatsächlich ist. "Wenn hingegen parallel zu der Zwangsversteigerung auch eine Zwangsverwaltung angeordnet ist, besteht der Vorteil, dass durch den Zwangsverwalter zumindest bekannt ist, wie die Vermietungssituation ist. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass zumindest die allernotwendigsten Reparaturen erfolgt sind", erläutert Gemoll.

Er empfiehlt, grundsätzlich alle verfügbaren Unterlagen zum Objekt sorgfältig zu studieren, statt auf gut Glück mitzubieten. Zudem sollten Bietinteressenten die Ausführungen des Rechtspflegers beim Zwangsversteigerungstermin sehr ernst nehmen: Vor Beginn der Bieterstunde können noch Informationen zum Objekt mitgeteilt werden, die sich auch aus einem parallel angeordneten Zwangsverwaltungsverfahren ergeben.

Obwohl die aktuelle Zahl der Termine trotz Wirtschaftskrise mit einem Minus von zwei Prozent leicht rückläufig ist, haben die Immobilien Zwangsversteigerungen über die Jahre gesehen stark zugenommen. Wie der Verlag für Wirtschaftsinformationen Argetra meldet, wurden in deutschen Amtsgerichten 2009 circa 86 000 Zwangsversteigerungstermine mit einem Verkehrswert von über 15,11 Milliarden Euro anberaumt. Aufgrund der starken Nachfrage nach Immobilien sank die Zahl der Termine in Berlin sogar um fast 17 Prozent. "Der Werteverfall im Osten scheint endlich gestoppt", bilanziert Winfried Aufterbeck vom Verlag Argetra. Bundesländer mit einer steigenden Zahl an Zwangsversteigerungen sind Hessen, Saarland, Schleswig-Holstein und Hamburg.

Die Hansestadt steht mit einem Plus von 18 Prozent unangefochten an der Spitze. Während es 2008 noch 605 Termine gab, fanden 2009 in Hamburg 714 Termine statt. Top ist die Elbmetropole auch in Bezug auf den durchschnittlich ermittelten Verkehrswert: Er liegt bei 378 300 Euro, gefolgt von Berlin mit knapp 318 000 Euro. "Wenn sich die schwächelnde Konjunktur weiter fortsetzt, bleibt ein Anstieg der Zwangsversteigerungen unausweichlich", erwartet Winfried Aufterbeck.

Die Amtsgerichte geben Termine für Zwangsversteigerungen bekannt. Diese Termine werden in Versteigerungskalendern bekannt gegeben. Weitere Informationen auch unter www.argetra.de oder www.justiz.hamburg.de