Ob Wohnungsknappheit, gleichförmige Architektur oder Abriss alter Quartiere - die Unzufriedenheit der Hamburger mit der Stadtplanung wächst. In der Initiative "Next Hamburg" betreiben Bürger jetzt Planung von unten. "Die Kreativität der Menschen wird zu wenig genutzt", findet Wolfgang Kühl. "Wir Bürger werden ja nur gefragt, wenn ein Bebauungsplan aufgestellt wird. Aber der Schritt vorher fehlt völlig: Für die eigenen Ideen interessiert sich niemand", beklagt Kühl einen Mangel an Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung. So wie der 50-jährige Bankdirektor aus Poppenbüttel empfinden immer mehr Hamburger und suchen nach Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen in die Planung ihrer Stadt.

Als Künstler im Sommer das vom Abriss bedrohte Gängeviertel besetzten und einen eigenen Entwurf zum Erhalt des Häuser-Ensembles vorlegten, ernteten sie von allen Seiten Applaus. Viele Bürger begrüßten die Aktion. Rund 3000 Hamburger ließen sich an einem einzigen Wochenende durch das historische Ensemble führen und informierten sich über das Konzept.

Auch an anderen Stellen der Neustadt und in St. Pauli regt sich Widerstand gegen die "Aufwertung" durch Abriss und immer mehr gläserne Bürotürme, Hotels, hochpreisige Wohnungsneubauten und Luxussanierungen. Auf St. Pauli hat sich eine Initiative gegen das Bernhard-Nocht-Quartier (BNQ) gebildet und ähnliche Bewegungen gibt es in Iserbrook, am Isebekkanal, in Neumühlen und natürlich im Schanzenviertel. Vielfach geht es den Hamburgern nicht nur darum, ein Vorhaben zu verhindern, sondern sie artikulieren eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Stadtplanung. Sie entwickeln eigene Konzepte, suchen das offene Gespräch mit der Stadt.

"Next Hamburg" heißt eine dieser Initiativen, die sich konstruktiv und kreativ in den Stadtplanungsprozess einbringt. "Wir glauben an die Kraft der guten Idee", beschreibt Julian Petrin die Philosophie der von ihm gegründeten Initiative. "Next Hamburg ist ein öffentliches Labor, wir wollen stadtplanerische Ideen und Projekte diskutieren und auf den Weg bringen", so Petrin, der als Lehrbeauftragter an der HafenCity-Universität angehende Stadtplaner unterrichtet.

"Next Hamburg" hat eine Internetseite eingerichtet, auf der interessierte Laien ihre Ideen vorstellen können - von der Rekonstruktion historischer Gebäude über die Verbesserung der Ampelschaltung für Fußgänger bis zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Auch utopische Ideen sind dabei, die von den Teilnehmern selbst als "Spinnerei" bezeichnet werden, so zum Beispiel ein Boulevard am Südufer der Elbe oder eine Hochseilbahn im Hafen. Aktuell werden 178 Ideen online diskutiert und von den Nutzern bewertet. Die "Top-Ideen", also die Ideen mit der größten Zustimmung unter den Teilnehmern, werden regelmäßig in offenen Workshops ("Sessions") weiter vertieft. Bei der zweiten "Session", die Ende Oktober im Museum für Hamburgische Geschichte stattfand, nutzten schon über 100 Hamburger die Gelegenheit zur Mitgestaltung. Organisator Julian Petrin war "überwältigt von dieser Resonanz, die beweist, wie groß das Interesse der Bürger an ihrer Stadt ist".

Teilgenommen haben Bürger wie Bankier Wolfgang Kühl, der "Stadt- und Verkehrsplanung einfach interessant findet, weil das uns alle betrifft". Er und seine fünf Mitstreiter - von der Studentin bis zum Rentner - haben sich bei der Veranstaltung mit einer der 15 "Top-Ideen" beschäftigt: Der Überbauung der weiten Gleisflächen nördlich und südlich des Hauptbahnhofs.

Sie skizzierten mögliche Bebauungen und Nutzungen - darunter eine Markthalle, ein Museum und eine Piazza. Andere Gruppen diskutierten die Zukunft des Gängeviertels, erarbeiteten Konzepte für ein flächendeckendes Netz aus "Fahrradschnellwegen" oder für einen Kinderbauernhof rund um das Bismarckdenkmal am Hafen.

Am Ende wurden alle Konzepte präsentiert und zur Wahl gestellt. Dabei gewann die Planungsidee "City-Wohnen" - ein Konzept, das preiswertes Wohnen und urbanes Leben in die nach Geschäftsschluss "tote" Innenstadt zurückbringen soll. Dazu könnten leer stehende Büroflächen umgenutzt und gezielt Flachdächer für Wohnzwecke aufgestockt werden. Die prämierte Idee wird nun von ehrenamtlich arbeitenden Stadtplanern und Architekten professionell geprüft. Sie erstellen eine "Zukunftsstudie", deren Ziel es ist, konkrete Wohnprojekte in der Innenstadt anzustoßen. "Im Internet können alle Interessierten weiter mitreden," so Initiator Petrin. Dort wird die fertige Studie dann auch vorgestellt. Die nächste Session ist im kommenden Frühjahr.

Weitere Informationen unter: www.nexthamburg.de