Nicht für eine Elite sollten Schüler der von Walter Gropius gegründeten Kunstschule entwerfen. Einzelstücke kosten heute einige Tausend Euro.

"Eine kleine Sensation" nennt Historiker Rüdiger Joppien diese Fotografien: Zwei Schnappschüsse von 1927, gezackte Ränder, leicht verblasst. Pflanzen sind zu sehen, Wände und Möbel, Glas, Chrom, Licht. "Mit diesen Bildern können wir belegen, dass der junge Reeder Eberhard Thost der erste Hamburger war, der bereits 1927 seine Wohnräume mit Bauhaus-Möbeln einrichten ließ", sagt Joppien, Leiter Jugendstil und Moderne am Museum für Kunst und Gewerbe. Reeder Thost, Anfang 30, gehörte zur Jeunesse Dorée der Hamburger Gesellschaft, hatte gut eingeheiratet in die alt eingesessene Reederei Adolph Kirsten und wollte sich, so Joppien, "einrichten wie keiner in Hamburg: Er interessierte sich für moderne Kunst", sagt der Historiker, "sammelte später Werke für die Stadt."

Auf den Familienfotos sind Regale und ein Tisch aus Glas zu sehen, davor der Stuhl "Wassily", benannt nach Wassily Kandinsky, "ein Klassiker bis heute", sagt Joppien, "leicht und schön, transparent in den Raum gezeichnet". Neben dem Stuhl identifizierte Joppien ein Unikat: "Diese Stehlampe des Bauhaus-Studenten Hans Przyrembel gab es bisher nur auf einem Bild mit dem Hinweis, dass sie ein einziges Mal gebaut wurde. Nun wissen wir, für wen."

Bauhaus, dieser Begriff steht bis heute für klare, reduzierte Formen, für Stahl, Glas und Holz. Die Möbel heißen LC2, E1027 oder S664. Sie klingen wie Typenbezeichnungen von Robotern in Kinofilmen, sind aber Namen von Stühlen und Tischen, die heute in privaten Wohnungen stehen oder in Eingangshallen bei Unternehmensberatern und Rechtsanwälten.

"Unsere Klienten sind etwa zu gleichen Teilen Privatkunden und Unternehmen", sagt Helge Voss, Berater in einem Geschäft für hochwertige Möbel in der Innenstadt. "Dieser Kundenkreis kauft seit mehr als zehn Jahren einige wenige Klassiker wie etwa Sessel, Hocker und Liege der Reihe 'Barcelona' von Ludwig Mies van der Rohe, die 1929 für die Weltausstellung im deutschen Pavillon entworfen wurden." Besonders Tische und Stühle, vor allem sogenannte Freischwinger, verkauften sich gut. Bei diesen Modellen verlaufen gebogene Stangen aus Stahlrohr s-förmig, sodass die Sitzfläche etwas beweglich bleibt.

Mies van der Rohe, Marcel Breuer und Le Corbusier seien die bevorzugten Designer, so Voss: "Wer sich ein solches Stück leistet, hat ein ästhetisches Interesse an Kunst und Kultur. Es sind Leute, die sich privat mit Kunst beschäftigen und Dinge von Wert um sich haben möchten. Diese Möbel haben ihren Preis", sagt der Bauhaus-Experte.

Eine Barcelona-Liege koste je nach Bezug zwischen 8000 und 12 000 Euro, sagt Voss, das sei der Qualität angemessen, stünde aber im Widerspruch zur ursprünglichen Idee der Künstler: "Der Ansatz der Bauhaus-Künstler war ja gerade, Möbel für die breite Masse zu bauen, und nicht für eine Elite", so Voss.

Vor 90 Jahren hatte der Architekt Gropius das Staatliche Bauhaus als Kunstschule gegründet. Erstmals sollten die Studenten sowohl Gestaltung als auch Handwerk erlernen, um zu einer neuen Formensprache zu finden; sie sollten Künstler und Handwerker zugleich sein. "Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück", sagt Gropius in seinem Bauhaus-Manifest, und weiter: "Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers." Der Öffentlichkeit galten die Mitwirkenden des Bauhauses, unter ihnen Lyonel Feininger, Paul Klee und Oskar Schlemmer, als politisch "links", ihre Werke als "maschinell" und "kalt". Als der Schule die Mittel um 50 Prozent gekürzt wurden, zog sie 1925 nach Dessau. Dort kamen 1931 die Nationalsozialisten an die Macht, der Versuch eines Wiederaufbaus in Berlin scheiterte. Am 19. Juli 1933 löste sich das Bauhaus auf. Viele der Mitglieder flüchteten aus Deutschland.

"Wer damals diese Möbel kaufte, hatte eine besondere Lebenshaltung", sagt Joppien. "Stahlrohr war als Material für Möbel brandneu, eigentlich kannte man es nur in der Industrie. Und es gab nun Esstische aus Glas! Da sahen Sie neben dem Salat auf die Schuhe Ihres Gegenübers - das war nicht jedermanns Sache." Dass jemand wie der Reeder Thost einen Raum oder eine ganze Wohnung habe einrichten lassen, sei selten gewesen, sagt Joppien. "Die meisten kauften Einzelstücke, sie waren Künstler, reiche Juden, Exzentriker. Ab 1933 verließen die Menschen das Land oder wurden deportiert", sagt Joppien, "was nicht gestohlen oder enteignet war, wurde während des Krieges zerstört."

So seien heute kaum noch Originale aus der Zeit des Bauhauses erhalten, sagt der Historiker: "Viele Stücke wurden nur einmal gebaut, oft nur als Arbeitsprobe. Übrig sind, wenn überhaupt, nur Fotos oder Zeichnungen. Vieles, was dem Bauhaus zugeordnet wird, entstand auch erst in späteren Jahren - echte Originale sind von allergrößter Seltenheit!" Daher sei er froh, wenn noch Stücke auftauchten, was ab und an geschehe, sagt Joppien. In jüngster Zeit habe er vor allem Einrichtungen von Erich Dieckmann für das Museum sammeln können. Dieckmann habe mit Breuer als Lehrling in Weimar begonnen, habe aber den Quantensprung ins Metall nicht gemacht: "Er war Tischler mit nur einem Arm", sagt der Historiker. "Dieckmann baute Möbel für das Volk: praktisch, solide und beständig. Er wollte der Welt ein Stück neue Philosophie vermitteln. Die Einrichtung war zum Kombinieren gedacht", sagt Joppien. "Damit war er einer der Ersten, die bereits in den 20er-Jahren Möbel als Bausätze gedacht haben, wie sie heute üblich sind."