Büroarbeit rund um die Uhr: Die mobile Gerätetechnik macht es möglich. Ist das ein Fluch oder Segen? Forscher geben Antworten.

Auf und davon", das verspricht Blackberry-Hersteller Research in Motion. "Statt an den Schreibtisch gefesselt zu sein, sind Sie auch unterwegs immer auf dem neuesten Stand. Telefon, Tagesplaner, Posteingang, Browser: Sie haben immer alles dabei." Kurz: Ein Blackberry, das ist die grenzenlose Freiheit.

Das Blackberry-Prinzip ist so erfolgreich, dass es von nahezu allen Handy-Herstellern und Mobilfunkanbietern kopiert wird. Mit einem Push-Service empfängt man unterwegs nicht nur Anrufe und SMS-Nachrichten unmittelbar, sondern auch E-Mails. Sobald die elektronische Post auf dem Server eingeht, wird sie direkt auf das Mobiltelefon weitergeleitet.

"Auf und davon"? Für manch einen von Anrufen und Terminen geplagten Zeitgenossen hört sich das eher an, als ob er auch noch von seinen E-Mails verfolgt würde. Und wenn das "Handelsblatt" schreibt, die "Zahl der Süchtigen" steige ständig, dann klingt das ebenfalls nicht nach großer Freiheit.

"Nehmen Sie Ihr Blackberry-Gerät zum Essen mit", rät der Hersteller. "Das schlanke, leichte Design macht es zum unauffälligen Begleiter. Mit der langen Akkulaufzeit ist das Gerät so lange aktiv wie Sie. Gleichzeitig sorgen die benutzerfreundliche Bedienung dafür, dass sich niemand gestört fühlt und Sie in Ruhe genießen können." Die Frage ist nur, ob die Begleiter diese Art "Power Lunch" zu schätzen wissen.

"Das Handy-Gespräch schafft offenbar viel mehr eine innere Sphäre mit dem jeweiligen Telefon-Partner als jede andere Kommunikation", schreibt Prof. Dr. Volker Faust, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit in seinem Aufsatz "Zur Psychologie der Handy-Manie". "Das heißt aber auch, dass die Umgebung ausgegrenzt wird. Deshalb reagieren selbst Freunde mitunter empfindlich bis gereizt. Man steht beisammen, fühlt sich aber ausgeschlossen." Die vermeintliche Nähe zum Gesprächspartner wird teuer erkauft, indem derjenige, der tatsächlich anwesend ist, ausgeblendet wird.

Prof. Alfred Gebert, Psychologe an der FH des Bundes in Münster, hat untersucht, wie sich mobile Mail-Kommunikation auf soziale Kontakte auswirkt. Das nicht überraschende Ergebnis der vom Hersteller beauftragten Studie: Blackberry-Nutzer haben einen größeren Freundeskreis.

"Es ist ein Vorteil", so Prof. Gebert, "dass man dank mobiler Kommunikation immer in Kontakt bleiben kann und niemanden verliert." Als Beispiel nennt er den Jahreskalender auf Papier. "Wenn dieser abgelaufen war, musste man die Informationen in einen neuen übertragen. Dabei hat man oft einige Kontakte nicht übernommen und sich später geärgert. Das kann nicht mehr passieren, weil die Daten im Blackberry elektronisch gesichert und übertragen werden können."

Manche Wissenschaftler gehen noch weiter. So schreibt der US-Psychologe Kenneth Gergen, der Gebrauch von Mobiltelefonen sei zu begrüßen, da er "tief greifende Beziehungen, den Sinn für Gemeinschaft, Identität und moralische Werte" fördere. Handys "nähren die Hoffnung, dass sich traditionelle und psychisch wichtige Kommunikationsformen auch im Zeitalter der Medien halten und entwickeln lassen."

Tatsächlich scheinen räumliche Entfernungen heute eine geringere Rolle zu spielen als früher. Obwohl kaum noch jemand Briefe schreibt, ist das Medium des geschriebenen Wortes lebendig wie nie zuvor - auch wenn sich nicht nur Germanisten angesichts des in SMS und E-Mails vorherrschenden Schreibstils die Haare raufen.

Ungeachtet solch stilistischer Fragen lassen sich den Ergebnissen der Münsteraner Studie zufolge auch geschäftliche Kontakte mit der neuen Kommunikationstechniken intensivieren: "Unsere Studie zeigt, dass geschäftliche Bekanntschaften zu privaten Freundschaften werden. Kaum jemand trennt noch private und geschäftliche Freunde, weil auch das Team auf der Arbeit zum Freundeskreis zählt", erklärt Prof. Gebert.

Eine Wechselwirkung, die sicher nicht jeder als angenehm empfindet. "Das ist wie bei einer elektronischen Fußfessel", warnt der Hamburger Kommunikationspsychologe Michael Thiel. "Früher hat man Mails zu Hause oder auf der Arbeit abgerufen, heute erwarten Geschäftspartner ständige Verfügbarkeit. Ich kenne Manager, die den Blackberry zunächst toll fanden. Inzwischen sagen viele, dass er zur Belastung geworden sei - auch im Privatleben."

"Durch Blackberry, E-Mail und Handy hat sich der Erwartungsdruck auf schnelle Reaktion stark erhöht", meint auch der Bruchsaler Managementberater Dr. Georg Kraus. Habe die Reaktionsgeschwindigkeit bei einem Brief noch bei vier bis fünf Tagen gelegen, so sei diese Spanne bei Faxen auf ein bis zwei Tage geschrumpft. "Durch Blackberry oder die Mailbox des Handys besteht die Erwartung, dass noch am gleichen Tag reagiert wird."

Die Folge: Wenn jemand den ganzen Tag in einer Besprechung ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als Rückrufe und E-Mails abends zu beantworten. In letzter Konsequenz laufe das neben einer Beschneidung der Freizeit auf eine drastische Beschleunigung von Entscheidungsprozessen hinaus. Oft seien sich Manager bewusst, dass die Entscheidungen nicht optimal seien, doch es fehle schlicht die Zeit, sie noch einmal zu überdenken.

Mittlerweile, so Kraus, sei der so entstandene Druck enorm groß geworden. 100 bis 200 Mails am Tag habe eine Führungskraft zu bewältigen und wende dafür etwa zwei bis drei Stunden ihrer Arbeitszeit auf. Doch ohne Mail geht es nicht mehr. "Die Möglichkeit, E-Mails auf dem Handy zu empfangen, hat viele in die Falle laufen lassen", erklärt Kraus. "Die dachten, sie könnten das jetzt alles allein bewältigen - eine Aufgabe, die meist unterschätzt wird."

Immerhin: Im Gegensatz zu einem Anruf kann man eine E-Mail lesen und beantworten, wenn es einem passt. Das hat auch Nina Ruge, Moderatorin und Blackberry-Fan, schätzen gelernt: "Ständige Erreichbarkeit per Handy - das habe ich oft als Fluch empfunden." Trotzdem habe sie sich dem Telefon-Terror ausgesetzt, "weil es mir wichtig ist, ohne Management und Brimborium zu leben und zu arbeiten". Ihr Blackberry habe ihr Leben dagegen stiller und entspannter gemacht. "Freunde, Geschäftspartner wissen, dass sie mich immer erreichen können, wo ich auch bin - und ich antworte auf ihre Anfragen dann, wenn es relaxed möglich ist. So steuere ich meine Zeit."

Es stimmt schon: Den elektronischen Schriftverkehr kann man auch im Taxi, am Flughafen oder im Restaurant erledigen. Aber so sehr man sich auch über die Segnungen der Technik freuen mag, drängt sich doch Verdacht auf, dass die Mail-Handys auch Bedürfnisse befriedigen, die sie selbst erzeugt haben.