Berlin. Das Peng! Collective hat sich als Macher der Skandalseite VoteBuddy.de geoutet. Es ging ihnen nur um Aufmerksamkeit für ein Anliegen.

Die Aufregung war in Teilen des Netzes großes: VoteBuddy.de schien eine Online-Stimmentauschbörse zu sein, die faktisch zum Wahlbetrug aufforderte. Es gab Strafanzeigen, der Bundeswahlleiter schaltete sich wegen der Skandalseite ein, der Facebook-Auftritt dazu wurde gesperrt. Doch ein Verdacht ist jetzt Gewissheit: Es war nur Satire.

Es steckt kein Startup mit einer schrägen Geschäftsidee hinter der Seite, die versprach, Nicht-Wahlberechtigte zusammenzubringen mit Nicht-Wählern. Das Portal war nur eine Attrappe und ist das Werk der Kommunikations-Guerilla-Gruppe Peng! Collective, um Aufmerksamkeit zu schaffen für eine kontroverse Forderung: Das Wahlrecht soll ausgeweitet werden auf Ausländer, die schon mindestens ein Jahr in Deutschland leben. Weil Politik die auch betrifft, bräuchten sie auch politische Teilhabe.

Wie alles anfing: Am Montag war VoteBuddy.de aufgetaucht, hatte dann Kreise gezogen. Angeblich die Seite eines Berliner Startups mit einem angeblichen Timo Meissner an der Spitze. Angeblich sollte Geld reinkommen über Werbung und den Shop. Angeblich sollten sich Nutzer registrieren können, um ihre Stimme zu tauschen. Angeblich hatten das 500 Menschen schon gemacht. Doch es gab zu viele Ungereimtheiten.

Was alles nicht stimmte: In einem Profil in dem Karrierenetzwerk LinkedIn gab Timo Meissner an, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beschäftigt gewesen zu sein. Er konnte auf Nachfrage aber nicht mal die Chefs dort nennen. Dort hätte man ihn auch gar nicht gekannt. Die Fotos auf der Seite stammten auch aus Fotodatenbanken und zeigten ganz andere Personen als sie vorgaben.

Und in der Seite war programmiert, dass sie Fehlermeldungen anzeigt. Einloggen konnte man sich gar nicht, den Shop nutzen auch nicht. Wie genau dieses angebliche Startup heißt, konnte Timo Meissner auf Nachfrage unserer Redaktion auch nicht sagen. Er lenkte bei der Summe von Widersprüchen ein: „Am Freitagmorgen geben wir unsere Identität preis.“ Timo Meissner nennt sich nun Sebastian Fürst – und beantwortete schon Fragen. Am Freitagmorgen schickte Peng dann eine Pressemitteilung.

VoteBuddy.de war nach Angaben der Macher nur dazu ausgelegt, eine Debatte anzustoßen.
VoteBuddy.de war nach Angaben der Macher nur dazu ausgelegt, eine Debatte anzustoßen. © VoteBuddy.de/Montage FMG | VoteBuddy.de/Montage FMG

Was die Macher vom Stimmentausch halten: Das angebliche Startup wollte anbieten, dass Nicht-Wähler ihre Stimme Nicht-Wahlberechtigten bei der Briefwahl überlassen. „Die Idee an sich ist natürlich Quatsch. Wer desinteressiert ist, der beteiligt sich auch nicht an so einer Plattform“, sagt Fürst. Die Argumentation auf der Seite sei auch dünn gewesen, aufgefallen war das aber in der Aufregung kaum. Fürs Wählen auf die Hilfe anderer oder auf Rechtsbrüche angewiesen zu sein, sei keine Lösung für das eigentliche Problem.

Was für sie das Problem ist: Peng und die Aktionspartner der Performance-Theatergruppe andcompany&co sehen eine „diskriminierende Praxis in unserem Wahlsystem“: In Deutschland lebten etwa neun Millionen Erwachsene, die von den Bundestagswahlen ausgeschlossen sind. „Wie repräsentativ ist eine Demokratie, die mehr als zehn Prozent der Bevölkerung vom Wahlrecht ausschließt?“, fragt Sara Conti, eine Sprecherin des Kollektivs. Diese Menschen hätten „keine Möglichkeit, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen – obwohl auch sie von ihnen betroffen sind“.

Was gefordert wird: Dass das Wahlrecht so geändert wird, dass mehr Menschen ihre Stimme abgeben können. „Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sollten das Recht haben, legal wählen zu können, ohne dafür auf die Hilfe anderer oder auf Rechtsbrüche angewiesen zu sein.“ Peng und Partner andcompany&co fordern also ein Wahlrecht ab einer Aufenthaltsdauer in Deutschland von einem Jahr. In Neuseeland etwa gebe es das, so Fürst. Auch andere Länder hätten großzügigere Regeln. In Deutschland gibt es zudem Forderungen, rund 80.000 geistig behinderten Menschen das Wahlrecht nicht vorzuenthalten. Der Berliner Raul Krauthausen wirbt dafür energisch.

Was Kritiker sagen: In Nordrhein-Westfalen wollten im Frühjahr SPD, Grüne und Piraten eine Ausweitung des Kommunalwahlrechts: Auf kommunaler Ebene ist EU-Ausländern Wählen bereits erlaubt, wenn sie mindestens drei Monate in Deutschland leben – Türken aber beispielsweise auch nach vielen Jahren nicht. CDU und FDP verhinderten die Änderung. Dann sitze wegen der gut organisierten Anhänger „bald in jedem Stadtrat in NRW ein Herr Erdogan“, sagte Armin Laschet, inzwischen Ministerpräsident. Er nannte den Plan auch „integrationsschädlich“, weil es eine Belohnung „für nicht einbürgerungswillige Ausländer“ darstelle.

FDP-Chef Christian Lindner erklärte, dass es nicht ohne eine Änderung des Grundgesetzes möglich sei. Auch er machte aber „migrations- und gesellschaftspolitische Gründe“ gegen den Vorstoß geltend. Der damalige Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte den Plan so erklärt: „Wer mitbestimmen darf, der bringt sich ein.“ Dies sei „genau das, was zur Integration führen kann“.

Welche Reaktionen VoteBuddy.de auslöste: Um der Aktion schnell Aufmerksamkeit zu verschaffen, schalteten die Macher Fürst zufolge Werbung auf Facebook, die gezielt Menschen aus dem AfD-Milieu, aber auch aus dem ProAsyl-Millieu angezeigt wurde. Bereits am Dienstag berichtete ein Blog mit großer Reichweite in der rechten Szene. Auf der Facebook-Seite hagelte es aggressive Beiträge, Hasspostings, Drohungen, auch am Telefon und per Mail. „Wir haben am Anfang selbstbewusst darauf geantwortet und gehofft, es melden sich auch die Leute, die die fehlende politische Vertretung aufgreifen und es entsteht eine Debatte dazu.“

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Es sprangen auch wenige Medien an, kein großes Medium fiel rein. „Wir hatten gehofft, wir könnten dort für echt gehalten werden, kein seriöses Medium ist darauf reingefallen. Die Qualität des Journalismus in Deutschland ist erfreulich hoch.“ Es sei aber nicht ungewöhnlich, dass ein großes Echo erst mit der Auflösung einsetze.

Wie akribisch die Macher sich vorbereitet hatten: Einen Monat vor der Aktion hatten sie für einen „Timo Meissner“, den angeblichen Chef des Start-Ups, den falschen LinkedIn-Account angelegt. GIZ und Friedrich-Ebert-Stiftung als angebliche frühere Arbeitgeber waren nicht eingeweiht. Bei einem Provider in den USA buchten sie mit dem falschen Namen und mit der Kryptowährung Bitcoin Webspace für die Homepage.

Bei der Registrierung der .de-Adresse nutzten sie den Fake-Namen, die Registrierungsstelle Denic bemerkte einen Verstoß nicht. Hinter der angeblichen New Yorker Adresse des angeblichen Timo Meissner steckte ein Anbieter für virtuelle Büros, also Briefkastenfirmen. Die angegebene Telefonnummer mit der US-Vorwahl war über Skype geordert, Anrufe wurden weitergeleitet zu Peng!-Aktivist Fürst. Für den Fall, dass die Seite abgeschaltet worden wäre, gab es noch eine zweite Adresse.

Was sie zu den Strafanzeigen sagen: Der Bundeswahlleiter hatte erklärt, ihr Angebot sei illegal und eine Prüfung angekündigt, wie sich die Seite stoppen lässt, im Netz gab es etliche Ankündigungen von Strafanzeigen wegen Wahlfälschung und Anstiftung zur Wahlfälschung. „Dem sehen wir gelassen entgegen“, sagt Fürst. Der Vorwurf zur Anstiftung sei nicht haltbar: Den Leuten sei keine Möglichkeit gegeben worden, Stimmen zu tauschen. Selbst der Log-In war Fake. Wer sich anmeldete, gab zwar auch Name und Postleitzahl ein, „gespeichert haben wir aber nur die E-Mails“. An die Adressen gehen jetzt auch E-Mails mit der Auflösung.

Wie viele Leute beteiligt waren: Von Anfang an waren Juristen eingebunden, erklärt Fürst. Insgesamt halfen rund ein Dutzend Leute bei der Aktion mit – Aktivisten von Peng! und andcompany&Co. Diese Gruppe setzt die Aktion noch fort: Ohne öffentliche Aufregung hatte die Gruppe bereits einen Aufruf gestartet und nach Nicht-Wählern gesucht, die ihre Stimme verschenken. Für den 19. September kündigt sie einen „Stimmenverleih in Form einer einmaligen Spielshow“ in der Dresdener Dreikönigskirche an, Sitze des ersten Landtags.