Berlin. Respekt und Fakten statt Hass und Hetze: In der Facebook-Gruppe #ichbinhier organisieren sich Tausende für eine Debattenkultur im Netz.

Kaum eine Diskussion im Netz kommt aus, ohne dass einer seine Diskussionspartner beleidigt oder gleich zu übler, ausländerfeindlicher Hetze ausholt. Auch Hannes Ley beobachtet das seit langem: „Im Netz wird nicht diskutiert, sondern oft nur rausgerotzt.“ Dem 43-Jährigen ging es gegen den Strich, wie die liberale Gesellschaft im Netz mit Füßen getreten wird. Er musste etwas dagegen tun. Bloß was, wusste der selbstständige Kommunikationsberater aus Hamburg lange nicht.

Dann besuchte ihn im Dezember vergangenen Jahres ein Freund aus Schweden und brachte die zündende Idee: In der von der Journalistin Mina Dennert gegründeten Facebook-Gruppe #jagärhär versammelten sich dort Menschen, um gemeinsam gegen Hass und Hetze in den Kommentarspalten vorzugehen. Ley: „Das brauchen wir auch in Deutschland, dachte ich.“ Umgehend nahm er mit Dennert Kontakt auf und rief das deutsche Pendant #ichbinhier ins Leben.

Facebook-Nutzer nehmen das Problem selbst in die Hand

Während Bundesregierung und soziale Medien das Thema nur langsam angehen, nehmen Ley und seine Mitstreiter das Problem nun selbst in die Hand – und stellen sich den Trollen und Hetzern entgegen. Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, Diskussionen auf den Facebook-Seiten großer Medien zu versachlichen, oder wie Ley es nennt: „Eine neue Tonalität rein zu bringen“.

In der geschlossenen Gruppe machen sich die Mitglieder seitdem untereinander auf Diskussionen aufmerksam, die aus dem Ruder laufen. „Wir schauen, wo die Stimmung kippt“, sagt Ley. Bestehen mehr als die Hälfte der Kommentare aus Hassreden, steigen sie gemeinsam in die Diskussionen ein.

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Schon mehr als 26.000 Mitglieder

Dabei schreiben sie sachlich und mit Argumenten gegen den Hass an. Zudem liken sie konstruktive Kommentare, die dadurch weiter oben erscheinen und mehr Gewicht bekommen. Jeden ihrer Kommentare leiten sie ein mit dem Hashtag #ichbinhier.

Mittlerweile hat die Gruppe über 26.000 Mitglieder, die sich für eine gute Diskussionskultur im Netz einsetzen. Für Neumitglieder wird in einem ausführlichen Leitfaden beschrieben, wie sie bei Kommentaren mit Beleidigungen, Lügen und Hetze reagieren können. Zudem werden Sprachtipps für das Antwort-Posting gegeben. Auch Prominente unterstützen die Gruppe, etwa die ZDF-Journalistin Dunja Hayali.

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Täglich fünf Stunden im Einsatz

Und wie fällt das Zwischenfazit des Gruppengründers aus nach knapp drei Monaten Arbeit im Auftrag des sachlichen Diskurses? In etwa 300 Diskussionen habe die Gruppe bisher eingegriffen. „Dort die Stimmung zu drehen, lief überwiegend erfolgreich“, so Ley. Der größere Gewinn sei aber ein anderer: „Die Leute schöpfen Mut und begeben sich wieder in den politischen Diskurs.“

Für Ley ist die Aufgabe mittlerweile zur Berufung geworden. Fünf Stunden verbringt er täglich mit der Gruppe. Dafür arbeitet er dieses Jahr 50 Prozent weniger in seinem eigentlichen Beruf. Neben ihm engagieren sich noch etwa 30 bis 40 Leute mehrere Stunden täglich und beantworten ehrenamtlich Mitgliederanfragen oder durchleuchten Diskussionsstränge. Mehrere Hundert Gruppenmitglieder schreiben zudem regelmäßig in den Kommentarspalten.

Mitglieder werden selbst angegriffen

Dabei ist die Arbeit nicht immer leicht. Denn wer sich Pöblern und Hetzern im Netz in den Weg stellt, wird selbst schnell zur Zielscheibe ihrer Angriffe. „Besonders Frauen aus unserer Gruppe werden oft privat im Netz bedroht“, sagt Ley. „Einigen Mitgliedern geht das sehr nahe.“

Im Ursprungsland der Aktion, in Schweden, hat all der Einsatz aber schon Früchte getragen. „Dort finden die Initiatoren von #jagärhär kaum noch Hass gegen den sich ihre Aktionen in den sozialen Medien richten könnten“, berichtet Ley. Dafür haben die rund 65.000 Mitglieder gesorgt, die in der dortigen Gruppe organisiert sind. Mittlerweile hat sich auch in Großbritannien eine Gruppe nach diesem Vorbild gegründet.

„Regierung und Facebook machen zu wenig“

Doch lässt sich der Erfolg in Schweden auf Deutschland übertragen? „Ich bin skeptisch, den Erfolg der Schweden zu kopieren“, sagt Ley. „Überzeugte Hater lassen sich von uns nicht abbringen.“ Andererseits gebe es jetzt eine gemeinsame Stimme, die in den Foren auf die Problematik hinweise. „Damit haben wir schon viel erreicht“, so Ley.

Unzufrieden ist er auch mit dem geringen Engagement von Bundesregierung, Facebook sowie den Onlinemedien, die ihre Kommentarspalten für seinen Geschmack nicht ausreichend moderieren. Viel zu lange sei da nichts passiert.

Andererseits sagt auch Ley: „Wir können von der Regierung und den sozialen Medien nicht erwarten, dass sie sich allein um das Problem kümmern. Die Leute müssen wieder erkennen, dass man Demokratie aktiv schützen muss.“ Dabei gehen Ley und #ichbinhier mit gutem Beispiel voran.