Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erklärt, warum nicht nur Politiker eine Medien-Strategie brauchen. Selbst auf Partys.

Tübingen. Die nächste Handy-Kamera ist garantiert nicht weit. Ein peinliches Foto von einer Party oder ein unbedachter Kommentar in einem Internetblog: Schon ein kleiner Fehltritt kann im Zeitalter von YouTube und Facebook den Ruf und die Karriere eines Menschen zerstören, warnt der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Während früher nur Promis auf Schritt und Tritt von Kameras und Skandal-Jägern verfolgt wurden, gelte das inzwischen für jeden Menschen.

„Jeder trägt heute Allzweckwaffen der Skandalisierung am Körper: Handys und Smartphones kann man immer hochreißen, um einen peinlichen Moment zu dokumentieren. Wir beobachten uns alle immer gegenseitig“, sagte Pörksen.

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Dies habe zwei Konsequenzen: Zum einen brauche jeder Mensch eine Medien-Strategie wie ein Promi. „Denn wer sich auf einer Party gehen lässt und dabei gefilmt wird, läuft Gefahr, im Internet vor einem weltweiten Publikum zum Gespött zu werden“, betont der Professor, der in dieser Woche sein Buch „Der entfesselte Skandal“ veröffentlicht. „Alles ist potenziell öffentlich und findet potenziell vor einem Weltpublikum statt.“ Zum anderen brauche jeder Mensch ein publizistisches Verständnis wie ein Journalist – denn wer Dokumente online stelle, müsse sich im Vorfeld über die Konsequenzen im Klaren sein und dabei auch moralische Aspekte berücksichtigen.

Als Grundlage einer persönlichen Medienstrategie müsse sich jeder klarmachen, dass er die Entscheidung, was er von sich preisgibt, nur ein einziges Mal treffen könne. „Das ist irreversibel. Solche Informationen kann man nicht zurückholen.“ Wer also zum Beispiel seine Hochzeitsbilder an Freunde verschickt, könnte dazuschreiben, ob und wie diese Bilder weiter verteilt werden dürfen oder nicht. Bei einer Party-Einladung könne man auch gleich die Bitte dazuschreiben, Fotos von diesem Abend nicht im Internet zu veröffentlichen. „Dafür muss man den anderen vertrauen, dass sie sich daran auch halten. Aber ein solches Vertrauen ist alternativlos“, sagte Pörksen.

Gleichzeitig müsse sich aber auch jeder Mensch sehr viel stärker klar machen, welche Folgen es hat, wenn man etwas über einen anderen Menschen veröffentlicht. Als Negativ-Beispiel nannte Pörksen die Geschehnisse rund um die Ermordung der elfjährigen Lena in Emden. Im Internet waren Hassparolen gegen einen 17-Jährigen in Umlauf gebracht worden, auch ein Aufruf zur Lynchjustiz war aufgetaucht. Später stellte sich heraus, dass der 17-Jährige unschuldig war.

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„Jeder, der im Internet etwas veröffentlicht, muss sich vorher die klassischen journalistischen Fragen stellen: Ist die Information glaubwürdig? Ist die Quelle zuverlässig? Wie sieht es mit den Persönlichkeitsrechten aus? Erst dann kann man entscheiden, ob man eine Information publizieren darf oder nicht.“ In Schulen und Universitäten müssten dafür das publizistische Handwerkszeug sowie das nötige Gespür für Medieneffekte vermittelt werden.

Denn letztlich habe die Gesellschaft keine andere Wahl, als auf das Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Mediennutzers zu setzen. Eine Zensur des Internets sei weder zielführend noch machbar. Daraus lasse sich eine Handlungsmaxime für das digitale Zeitalter ableiten, sagte Pörksen: „Handele stets so, dass Dir die öffentlichen Effekte Deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen. Aber rechne damit, dass dies nichts nützt.“ (dpa)