Wie der Fußball-Fan und Sportlehrer Gerhard Schuster seine Depressionen in den Griff bekam.

"Das ist mein persönlicher Rettungsanker", sagt Gerhard Schuster (Name geändert) und zückt eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie: Station 6F, Psychosomatische Medizin, Schön-Klinik Eilbek ist darauf zu lesen, außerdem eine Notfalltelefonnummer. "Wenn es mir schlecht gehen sollte, kann ich mich dort melden", sagt Schuster. Der 39-Jährige rührt genussvoll in seinem Eiskaffee und lächelt - für solche Momente war Schuster lange Zeit nicht mehr empfänglich. Als HSV-Fan sagt Schuster über seine aktuelle Verfassung: "Mittlerweile bin ich wieder fit - ich bin wieder in Ballbesitz."

Zuvor war dem Angestellten immer mehr die Kontrolle entglitten: Gerhard Schuster litt unter Depressionen. "Gefühlsmäßig hat es für mich jeden Tag in Strömen geregnet. Der Weg zur Arbeit war jedes Mal wie in dem Film mit dem Murmeltier, wissen Sie?"

Bevor die Depressionen vor über einem Jahr bei Schuster einsetzten, hatte er schon mit einer anderen psychischen Erkrankung zu kämpfen: Über Jahre hinweg ängstigte er sich vor anderen Menschen, ihn plagte eine soziale Phobie, Kontakten ging er aus dem Weg. Jetzt schaut er seinem Gegenüber mit sicherem Blick in die Augen und berichtet selbstbewusst und mit fester Stimme von seiner Vergangenheit.

Schon die Schulzeit machte ihm zu schaffen. "Ich zog die Blicke der anderen Kinder wie magisch an." Im Negativen. Denn Schuster wurde mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren. "Immer wenn mich jemand angeguckt hat, habe ich mich schlecht gefühlt", erklärt er.

Die Angst vor dem Angesehen- und Abgestempelt-Werden zog sich bis ins Jahr 2006. In einer Klinik am Schweriner See unterzog sich der Hamburger einer Einzeltherapie, in der er gelernt hat "umzudenken", wie er sagt. "Wenn jemand mich heute blöd anguckt, sage ich mir nun: Der hat einen schlechten Tag." Der alleinstehende Gerhard Schuster hatte schon immer eine sehr starke Bindung zu seinen Eltern. "Meine Eltern haben sehr viel für mich getan, deshalb habe ich ein großes Verantwortungsbewusstsein ihnen gegenüber", sagt Schuster. Beide sind heute pflegebedürftig - eine große Belastung für Schuster, die wohl auch ein Auslöser dafür war, dass er Ende 2009 an der Depression erkrankte. "Plötzlich brach alles über mir zusammen. Zu der emotional und zeitlich fordernden Betreuung meiner Eltern kamen nun noch Krach mit den Nachbarn und Stress bei der Arbeit hinzu." Schuster litt unter der Belastung, wurde antriebslos. Auf dem Arbeitsweg überkam ihn sein "Murmeltier-Gefühl". Er dachte oft an Robert Enke ("Der hat es hinter sich"). Nachts verlor er sich in Grübeleien, fand keinen Schlaf und keine Ruhe mehr. Schließlich versuchte er, sich mit allen Schlaftabletten, die er fand, umzubringen - was misslang. In der Schön-Klinik bekam er intensive Betreuung in Einzel- und Gruppentherapien, zwei Monate lang stationär, danach ambulant.

Heute hat Gerhard Schuster sein ganzes Leben umgekrempelt - beziehungsweise ist noch dabei: "Ich suche mir eine neue Wohnung, kaufe neue Möbel und knüpfe neue Kontakte." Was ihm hilft? "Zum Beispiel ein ausgiebiges Frühstück, für das ich mir jeden Tag ganz bewusst die Zeit nehme." Kleine Momente genießen. Heute, sagt Schuster, kann er die schönen Seiten des Lebens wieder würdigen und Freude darüber empfinden.