Weltkrebstag

Wenn Mama oder Papa Krebs haben: Neue Hilfe für Familien

| Lesedauer: 6 Minuten
Natascha Plankermann
Ist Krebs besiegbar? Spahns Aussage im Faktencheck

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Eine Krebsdiagnose bringt Not in eine Familie. Das neue Modellprojekt „Familienscout“ hilft Kindern und Partnern von Krebspatienten.

Berlin.  Dieses ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Hinter verschlossenen Türen tuscheln die Eltern und sitzen bedrückt beim Abendbrot. Die beiden Töchter im Alter von sieben und 16 Jahren ahnen es, bevor sich die Mutter irgendwann ein Herz fasst und sagt: „Papa ist sehr krank. Er hat Krebs.“ Von jetzt auf gleich fühlt sich das Leben an wie auf den Kopf gestellt. „Es war wie ein Flugzeugabsturz“, beschreibt die ältere Tochter ihr Empfinden später.

Immer mehr Kinder müssen eine solche Erfahrung machen, bevor sie volljährig sind. „Das liegt daran, dass Paare in Deutschland häufiger im fortgeschrittenen Alter Kinder bekommen und dann erkranken“, sagt Dr. Andrea Petermann-Meyer. Sie ist Leiterin der Sektion Psychoonkologie im CIO-Centrum für integrierte Onkologie an der Uniklinik in Aachen.

Dort geht es darum, den Krebs und seine Folgen auf vielfältige Weise zu bekämpfen. Nicht nur mithilfe neuer Therapien für die Patienten, sondern auch mit Strategien, die denjenigen helfen, die oft genauso betroffen sind wie der Erkrankte selbst: die Partner und Kinder.

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Bitter nötig, dass eine Hand zur Entlastung gereicht wird

„Familienscout“ heißt ein Projekt, das Petermann-Meyer mit ihren Kollegen in den rheinischen Nachbarstädten Bonn, Köln und Düsseldorf ins Leben gerufen hat und wissenschaftlich begleitet. Es stellt Familien eine Unterstützerin an die Seite, die ihnen bei organisatorischen, finanziellen oder emotionalen Fragen und Problemen hilft.

Mitstreiter im Projekt, das bundesweit ausgebaut werden soll, ist Dr. André Karger, Oberarzt und Leiter des Bereichs Psychoonkologie am Tumorzentrum der Uniklinik Düsseldorf.

Eltern schweigen, weil sie die Kinder schützen wollen

Das Befinden der Partner und Kinder von Krebspatienten wird erst seit rund 15 Jahren von Psychoonkologen berücksichtigt. Dabei haben es gerade die Angehörigen vielfach bitter nötig, eine Hand zur Entlastung gereicht zu bekommen. Andrea Petermann-Meyer ist überzeugt: „Alles, was gut vorbereitet ist, kann auch gut bewältigt werden.“ Ihre Erfahrung besagt indes: In vielen Familien geschieht das Gegenteil.

Eltern schweigen, weil sie ihre Kinder schützen wollen. Damit bewirken sie, dass Töchter und Söhne sich mit ihren Befürchtungen alleingelassen fühlen oder sogar bei sich selbst die Schuld für die Erkrankung suchen. Sie können sich oft nicht einmal mit Freunden oder Verwandten austauschen, denn diese ziehen sich in vielen Fällen verunsichert oder ängstlich zurück. „Krebs steht für Leid, Tod und Verlust. Kaum jemand denkt daran, welche Fortschritte wir in der Behandlung gemacht haben“, sagt André Karger.

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Beratung ist bislang unstrukturiert

Folglich zieht das Beben innerhalb des bislang so geschützten Raums der Familie seine Kreise: Die Kinder erleben erschüttert, wie ein Mensch, von dem sie abhängig sind, langwierige Behandlungen über sich ergehen lassen muss und durch die Krankheit gezeichnet wird. Er kann sie nicht mehr zum Fußballtraining oder zum Musikunterricht bringen. Weil die Finanzen knapp werden, muss die Familie sparen oder sogar Hartz-IV-Leistungen beantragen und umziehen, weil die Miete zu teuer wird.

Wer weiß in solchen Fällen, welche Hilfen Familien bekommen können? „Die Beratung ist unstrukturiert, reicht nicht aus, und nach Hause kommt in der Regel niemand – dabei wäre das so nötig“, kritisiert Psychoonkologin Petermann-Meyer.

Spezialsprechstunden gibt es zwar an einigen Uni-Kliniken oder im Angebot von Trägern wie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Doch diese müssen Familien finden und aufsuchen – der Weg ist oft zu weit. Karger: „Viele schaffen es noch nicht einmal, den Antrag auf eine Haushaltshilfe auszufüllen, abzugeben und sich dann auch wirklich eine zu suchen.“

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Haushaltshilfe nur, so lange die krebskranke Mutter noch lebt

Die Haushaltshilfe ist ein gutes Beispiel dafür, dass mögliche Unterstützungsangebote entweder unbekannt oder nicht entsprechend den Bedürfnissen von Familien organisiert sind. Petermann-Meyer: „Eine Haushaltshilfe wird laut Sozialgesetzbuch nur bewilligt, solange eine krebskranke Mutter noch lebt – danach, wenn die Familie sie besonders braucht, nicht mehr. Wenn unter Zwölfjährige im Haushalt leben, gibt es diese Unterstützung 26 Wochen im Jahr, bei Kindern über 14 Jahren gar nicht.“

Solche und ähnliche Ungereimtheiten bewirken schnell das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein – die Familienscouts, speziell ausgebildete Sozialpädagoginnen, sollen Angehörigen den Weg hinaus weisen.

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Scouts helfen bei der Bewältigung der Situation

Konkret helfen die Scouts über neun Monate hinweg nicht nur beim Antrag auf Haushaltshilfe, auf Reha oder Rente. Sie organisieren auch die Betreuung der Kinder mit und haben ein offenes Ohr für die Sorgen der Eltern um ihre Kinder. Die Familienscouts wissen, wie gute Gespräche über das schwierige Thema Krebs in Gang kommen, kennen die richtigen Bücher für Große und Kleine.

„Egal wo sie anpacken, das ist gleich eine Entlastung für die gesamte Familie“, so hat es Petermann-Meyer bei dem Modellprojekt „Brückenschlag“ (gemeinsam mit der Caritas Aachen) zwischen 2014 und 2017 mit insgesamt 250 Familien erlebt. Seit letztem Sommer läuft nun eine Studie bis 2021, die beweisen soll, dass durch die Scouts die Belastung der Familien sinkt. Vermittelt werden diese über die behandelnden Onkologen in Aachen und Umgebung.

In allen anderen beteiligten Städten bekommen die Studienteilnehmer Fragebögen und Hinweise zu allen Hilfen, die sie beanspruchen können. „Die meisten sind sehr erleichtert, dass es das Angebot gibt“, berichtet Karger. Und die Familienscouts helfen bis zum Ende bei schwierigen Fragen – wenn es darum geht, ob die Kinder zur Beerdigung kommen oder Abschied von dem toten Vater oder der verstorbenen Mutter nehmen sollen. „Das kann sehr hilfreich sein, aber nur, wenn sie von einem Erwachsenen begleitet werden“, sagt Petermann-Meyer.

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