Auf einer Tagung in Hamburg diskutieren Experten neue Erkenntnisse der Endokrinologie

Hamburg. Chirurgische Eingriffe können Diabetes-Erkrankungen positiv beeinflussen. Auf diesen Zusammenhang sind Ärzte durch Operationen von stark übergewichtigen Menschen gestoßen. "Es ist ein interessantes Phänomen, dass sich der Stoffwechsel beim Diabetes verbessert und sich manchmal sogar langfristig normalisiert, wenn man Menschen wegen schweren Übergewichts operiert und dabei ein Teil des oberen Darms stillgelegt wird", sagt Prof. Dirk Müller-Wieland, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin mit den Schwerpunkten Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel an der Asklepios-Klinik St. Georg.

Entscheidend dafür ist, dass bei einer Magenbypass-Operation, bei der der Magen des Patienten radikal verkleinert wird, der obere Teil des Dünndarms aus der Speisepassage ausgeschlossen wird. Die Besserung ist unabhängig vom Ausmaß der Gewichtsreduktion und tritt bereits kurz nach der Operation auf. Zurzeit wird bereits erforscht, wie man diese Effekte auch ohne einen chirurgischen Eingriff erreichen könnte.

Fettablagerungen in den Organen spielen bei Diabetes eine Rolle

Was aber genau im Darm passiert, ist noch unklar. "Wir wissen nur, dass der obere Dünndarm Hormone freisetzt und dass sie viel mehr Einfluss haben, als wir bisher dachten - nicht nur auf die Sättigung, sondern auch auf die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Und wir wissen, dass sich bei Patienten, die operiert werden, die Balance dieser Hormone ändert", erklärt Müller-Wieland. Die Mediziner hätten bis jetzt gelernt, dass das autonome Nervensystem, das die Organe versorgt, eine Rolle spielt. Denn es gebe anscheinend eine sehr enge Rückkopplung an die Zentren im Gehirn, die unser Hunger- und Sättigungsgefühl und den Stoffwechsel in Leber und Fettgewebe beeinflussen können.

Die Zusammenhänge zwischen der chirurgischen Behandlung des Übergewichts und dem Diabetes werden auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie besprochen, der heute im CCH beginnt. Vier Tage lang diskutieren etwa 800 Teilnehmer aktuelle Entwicklungen in ihrem Fachgebiet. Dabei haben die Hamburger Tagungspräsidenten Prof. Dirk Müller-Wieland und Prof. Jochen Kußmann die interdisziplinäre Behandlung in den Mittelpunkt gestellt. Denn oft ermöglicht erst die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Spezialisten, das komplexe Zusammenspiel der Hormone zu verstehen.

Intensiv erforscht wird auch der Zusammenhang zwischen Übergewicht und Diabetes. Dabei geht es auch um die Auswirkungen der Fettverteilung. Bisher wird vor allem Fettgewebe rund um die Eingeweide, das Bauchfett, als schädlich betrachtet, weil es über Botenstoffe den Stoffwechsel ungünstig beeinflusst. "In den letzten Jahren ist aber noch ein anderer Mechanismus klar geworden. Das Fett wird im Unterhautfettgewebe gespeichert. Wenn diese Speicherkapazität nicht ausreicht, lagert es sich in Organen wie Leber und Muskeln ab", sagt Müller-Wieland. Das Ausmaß der Ablagerungen zeige einen engen Zusammenhang mit einer verminderten Insulinwirksamkeit, einem Schlüsselmechanismus bei der Entstehung des Diabetes. "Die Speicherkapazität des Unterhautfettgewebes ist wahrscheinlich genetisch bestimmt", sagt der Stoffwechselspezialist.

Überfunktion der Nebenschilddrüsen kann eine Depression auslösen

Doch bei der Konferenz geht es nicht nur um Übergewicht - Hormone spielen bei vielen Erkrankungen eine Rolle. Eine davon, die oft übersehen wird, ist eine Überfunktion der Nebenschilddrüsen. Dabei ist sie gar nicht so selten: Vier Prozent der Frauen leiden nach den Wechseljahren darunter. Oft fehlen jedoch die klassischen Symptome wie Magenschmerzen, Gallen- oder Nierensteine sowie Schmerzen und Brüche der Knochen. Und milde Symptome sind eher unspezifisch. Als Beispiel nennt Prof. Jochen Kußmann, Chefarzt der Abteilung Endokrine Chirurgie an der Schön-Klinik Hamburg-Eilbek, depressive Verstimmungen: "Eine Patientin hat das Nebenschilddrüsenhormon einmal als Hormon der Traurigkeit bezeichnet. Es ist beeindruckend, wenn depressive Frauen schon am Abend nach der operativen Entfernung der erkrankten Nebenschilddrüse wie ausgewechselt sind".

Kritisch unter die Lupe nehmen die Experten auf dem Kongress auch die Methoden der minimal invasiven Chirurgie, der sogenannten Schlüssellochchirurgie. "Es werden Operationsmethoden ersonnen, bei denen die Schilddrüse nicht mehr über Schnitte am Hals entfernt wird, sondern über Zugänge in den Brustwarzen oder in den Achselhöhlen. Es gibt aber bisher keine Beweise, dass diese Methoden besser sind als die bisherigen", sagt Kußmann. Er kritisiert, dass Chirurgen ihren Patienten neue OP-Methoden anbieten könnten, ohne dass diese in Studien überprüft wurden. "Medikamente dürfen erst auf den Markt, wenn sie klinische Studien durchlaufen haben. Das muss auch für OP-Methoden gelten. Sie sollten nur zugelassen werden, wenn sie im Vergleich zu herkömmlichen Methoden bessere Ergebnisse zeigen, mit einer geringeren Belastung für den Patienten verbunden sind und idealerweise auch noch ökonomische Vorteile bieten."