Experte fordert mehr Tests bei Risikogruppen und bessere Prävention. 2010 haben sich bundesweit 3000 Menschen neu angesteckt.

Hamburg. Die Zahl der Menschen, die mit dem HI (human immunodeficiency)-Virus leben, nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. In diesem Jahr haben sich bundesweit 3000 Menschen neu angesteckt, berichtet das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Nach Schätzungen des RKI leben bundesweit zurzeit 70 000 Menschen mit der Infektion. Doch nur 54 000 wissen davon. "Es bleiben etwa 16 000, die nichts von ihrer Erkrankung wissen. Und das ist ein großes Problem, denn man geht davon aus, dass sie für etwa die Hälfte aller Neuinfektionen verantwortlich sind. Anders als die Menschen, die HIV-Medikamente einnehmen, haben Unbehandelte eine deutlich höhere Viruslast und sind dadurch infektiöser", sagt Prof. Andreas Plettenberg, Leiter des ifi-Instituts für interdisziplinäre Medizin auf dem Gelände der Asklepios-Klinik St. Georg. Eine Grundlage für diese Vermutung liefere eine US-Studie, nach der 25 Prozent der HIV-Positiven nichts von ihrer Infektion wissen und 54 Prozent der Neuinfektionen verursachen.

Hauptrisikogruppe für eine Infektion sind homosexuelle Männer

Auch in Hamburg steigt die Zahl derer, die mit der Infektion leben, seit 1994 stetig an und liegt jetzt bei 6000. "Die Zahl hat sich seit 1995 verdoppelt", sagt Plettenberg. Das liegt daran, dass sich pro Jahr etwa 200 Menschen in der Hansestadt neu infizieren und die Infizierten mithilfe moderner Medikamente immer länger leben. Die Zahl der Todesfälle ist deutlich gesunken.

Hauptrisikogruppe für eine Infektion sind sowohl bundesweit als auch in Hamburg homosexuelle Männer. Die 210 Neuinfektionen dieses Jahres in der Hansestadt betrafen 190 Männer und 20 Frauen. Nach Schätzungen des RKI beruhten 170 Infektionen auf homosexuellen Kontakten zwischen Männern, 30 auf heterosexuellen Kontakten, weniger als fünf je auf intravenösem Drogengebrauch und Übertragung der Infektion von der Mutter auf ihr Kind. "Im Vergleich mit den Zahlen der Vorjahre können wir feststellen, dass homosexuelle Kontakte unter Männern als Infektionsquelle wieder zugenommen haben", sagt Plettenberg.

Um die Zahl der Neuinfektionen drastisch zu senken, ist nach Meinung des HIV-Spezialisten ein ganzes Bündel von Maßnahmen nötig. An erster Stelle fordert er: Jeder aus einer Risikogruppe sollte sich testen lassen. "Und wenn Hausärzte junge Patienten aus Risikogruppen, insbesondere homosexuelle Männer, betreuen, sollte ein HIV-Test angeregt werden. Gleichermaßen wenn Markererkrankungen wie Gürtelrose oder Feigwarzen auftreten, sollte an eine mögliche HIV-Infektion gedacht werden", sagt Plettenberg. Bestätigt sich der Verdacht auf eine Infektion, sollten aktuelle und frühere Sexualpartner untersucht werden.

Die Krankenkasse bezahlt den Test nur, wenn ein Verdacht auf eine HIV-Infektion besteht, sonst muss der Patient die Kosten in Höhe von ungefähr 20 Euro selbst tragen. "Aber ich denke: Für die Mehrheit der Personen, denen ihre HIV-Infektion nicht bekannt ist, sind die Kosten nicht das ausschlaggebende Problem. Diejenigen, die sich nicht testen lassen, rechnen entweder überhaupt nicht mit einer Infektion oder wollen davon nichts wissen." Eine Ansteckung kann aber nach einer unterschiedlich langen, meist mehrjährigen Inkubationszeit zu Aids führen.

Plettenberg: "Dabei würden die meisten HIV-Positiven von der Kenntnis ihrer Infektion ganz persönlich profitieren. In vielen dieser Fälle würde die Therapie rechtzeitig begonnen werden können, sodass dadurch die Lebenserwartung verlängert wird." Wenn sich alle testen und bei einer Infektion behandeln lassen würden, würde zudem auch die Zahl der Neuinfektionen deutlich abnehmen. Ein weiterer Punkt der Prävention ist das Sexualverhalten. "Die Angst vor HIV ist geringer geworden, deswegen wird weniger an Safer Sex gedacht als noch zu Anfang der 90er-Jahre", sagt Plettenberg und fordert, beim Geschlechtsverkehr Kondome zu benutzen, keine verletzungsträchtigen Praktiken anzuwenden und Sexualpartner bewusster auszuwählen.

Wichtig ist auch die Erkennung und Behandlung von anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen. "Wenn jemand eine Syphilis hat, wird die HIV-Infektion leichter übertragen", sagt Plettenberg und appelliert an Ärzte, Patienten häufiger auf sexuell übertragbare Krankheiten zu untersuchen und bei der Behandlung auch aktuelle Erkenntnisse zu berücksichtigen, etwa dass Resistenzen der Erreger gegen Antibiotika zunehmen, dass Patienten oft gleich mehrere sexuell übertragbare Erkrankungen haben und dass Partner mit untersucht werden müssen.

Für die Behandlung stehen mittlerweile 26 Medikamente zur Verfügung

Heute wird eine HIV-Infektion deutlich früher behandelt als vor fünf bis zehn Jahren. Es sollte jeder behandelt werden, der weniger als 350 Helferlymphozyten je Mikroliter Blut hat. Es wird zurzeit diskutiert, die Therapie noch früher zu beginnen. Der Normalwert für diese Immunzellen, die bei der HIV-Infektion von den Viren attackiert werden, liegt bei Gesunden zwischen 500 und 1200 pro Mikroliter Blut.

Für die Behandlung stehen mittlerweile 26 Medikamente aus fünf Wirkstoffgruppen zur Verfügung. "Die Therapien sind deutlich wirksamer geworden; bei den meisten Patienten wird die Virusvermehrung so sehr unterdrückt, dass diese im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Therapieversagen ist deutlich seltener geworden. Zudem sind die Medikamente verträglicher geworden, und die Patienten müssen nicht mehr so viele Pillen schlucken. Waren es vor einigen Jahren noch 16 Tabletten oder mehr am Tag, sind es heute meist eine bis sechs", sagt Plettenberg. Es werden neue Kombinationen eingesetzt, und die Therapien werden individueller an den Patienten angepasst.

"Damit können wir die Infektion heute gut behandeln, aber heilen können wir sie nicht", sagt Plettenberg. Und auch wenn man heute mit der HIV-Infektion alt werden kann: "Die biologische Uhr bei Menschen mit HIV-Infektion scheint schneller zu gehen als bei Nicht-Infizierten. Eine aktuelle Studie zeigte, dass die Lebenserwartung HIV-infizierter Menschen im Vergleich zur Normalbevölkerung im Durchschnitt um 13 Jahre verkürzt ist."

Quelle: www.unaids.org