Unsere Vorstellung vom Älterwerden hat starken Einfluss darauf, wie wir altern, meint die Sozialpsychologin Ellen J. Langer

Hamburg. Den Anfang machte eine ungewöhnliche Studie: Die amerikanische Sozialpsychologin Ellen J. Langer startete 1979 ein Experiment mit älteren Menschen in einem abgeschiedenen Kloster, das ihre Sicht auf das Altern entscheidend beeinflussen sollte. Männer im Alter zwischen Ende 70 und Anfang 80 wurden in zwei Gruppen zu je acht Teilnehmern aufgeteilt. Beide Gruppen hielten sich für eine Woche in einer Umgebung auf, wie sie 1959 existierte, mit Schwarz-Weiß-Fernsehen, Musik von Nat "King" Cole und Filmen wie "Ben Hur". Gleichzeitig wurde die experimentelle Gruppe aufgefordert, sich vorzustellen, es sei tatsächlich das Jahr 1959. Alles, was in ihrem Leben nach dieser Zeit geschah, sollte in der Woche tabu sein. Die Kontrollgruppe erhielt die Aufgabe, sich rückblickend mit dem auseinanderzusetzen, was sie 1959 beschäftigte.

Das Ergebnis des Experiments: Beide Gruppen waren "jünger" geworden, aber bei denen, die sich 20 Jahre zurückversetzt hatten, waren deutlicher Veränderungen messbar: So hatte sich unter anderem die Beweglichkeit ihrer Gelenke verbessert, und in Intelligenztests waren stärkere Verbesserungen festzustellen. Auf Fotos wurden alle Teilnehmer der experimentellen Gruppe von neutralen Betrachtern nach dem Versuch als deutlich jünger bewertet.

Der Satz "Wir sind so jung, wie wir uns fühlen" gewinnt damit neue Aktualität. Wie wir alt werden, wird stark von unseren Vorstellungen vom Altern beeinflusst, davon, welche Bilder wir vor Augen haben, wenn wir an alte Menschen denken, behauptet Langer. Die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen Arbeit hat die Harvardprofessorin in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Counterclockwise" (Gegen den Uhrzeigersinn) zusammengefasst.

"Das Entscheidende beim Altern spielt sich im Kopf ab", sagt auch Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse, Altersforscher und Chefarzt im Zentrum für Geriatrie und Gerontologie im Albertinen-Haus. Wenn ein älterer Mensch sich zutraut, bestimmte Dinge machen zu können, Ziele und einen Lebensentwurf hat, dann ist das entscheidend dafür, dass er es auch schafft. "Self-efficacy" nennen Experten dieses Vertrauen darauf, selbst etwas tun und bewirken zu können. "Dazu kann man auch sagen: Gedanken können Bäume versetzen", sagt von Renteln-Kruse. Doch um wählen zu können, muss man auch Ungewissheit ertragen, meint Ellen Langer. Denn wo kein Zweifel sei, gebe es auch keine Wahl. "Es ist die Unsicherheit, die wir im Auge behalten müssen, insbesondere über unsere Gesundheit. Wenn wir das tun, ist der Lohn, dass wir Wahlmöglichkeiten schaffen können und die Gelegenheit, Kontrolle über unser Leben ausüben zu können."

Das kann auch dazu beitragen, sich weniger ausgeliefert zu fühlen, wenn man an das Alter denkt, eine positivere Haltung einzunehmen - und vielleicht sogar länger zu leben. In diese Richtung weist eine Studie, die Langer in ihrem Buch beschreibt. Darin fand ihre frühere Studentin Becca Levy mit Kollegen heraus, dass die Einstellungen von Menschen mehr zu ihrer Gesundheit beitragen könnten als physiologische Faktoren, die Patienten und Ärzte typischerweise im Blick haben. Sie untersuchten die Lebensspanne von mehr als 650 Menschen in Oxford, Ohio, die 1975 gebeten worden waren, in einem Fragebogen negative oder positive Sätze zum Alter anzukreuzen. 20 Jahre später fanden die Forscher heraus, dass diejenigen, die das Altern positiver betrachteten, im Durchschnitt 7,5 Jahre länger lebten als jene, die eine negative Haltung hatten.

Von Renteln-Kruse kennt auch die negativen Beispiele der vorgefassten Einstellungen aus seiner Arbeit: "Etwas, das man bei älteren Frauen viel häufiger findet als bei älteren Männern, ist das sogenannte post-fall-syndrom. Jemand, der bisher im Alltag mobil war, stolpert aus Unachtsamkeit und bricht sich einen Knochen. Das kann ein gravierender Einschnitt sein - mit möglicherweise fatalen Folgen: Die Angst, das Gleiche könnte wieder passieren, führt dazu, dass man nicht nur vorsichtiger geht, sondern auch Dinge, die man sonst automatisch gemacht hat, einschränkt. Dadurch vermindert sich der Aktionsradius, körperliche Aktivitäten werden weniger, und es entsteht ein Teufelskreis. Die Angst kratzt den Glauben an die eigenen Fähigkeiten an: Ich traue mir auch irgendwann andere Dinge nicht mehr zu. Und wenn ich etwas nicht mehr mache, verliere ich auch die Fähigkeit, das machen zu können", erklärt von Renteln-Kruse. Zwar kann dieses Vertrauen auf sich selbst die biologische Uhr nicht zurückdrehen, aber wenn ältere Menschen gefördert werden, können sie sich verbessern und Dinge leisten, die sie sich unter anderen Lebensbedingungen nicht zutrauen würden. Auch im Alter muss man eine Perspektive haben, die Fähigkeit, seinem Leben etwas abzugewinnen.

Nach allem, was man jetzt weiß, sind rund 30 Prozent der Einflüsse, die darüber entscheiden, wie wir altern, genetisch bedingt. Aber die Mehrzahl der Faktoren ist bedingt durch den Lebensstil: wie jemand mit Herausforderungen umgeht, welche Einstellung er zu seinem Körper hat, wie er die Balance zwischen Ruhe und Anspannung findet und soziale Kontakte pflegt.

Und unser Bild vom Altern ist geprägt durch das Elternhaus, Schule und Freunde, alte Menschen, mit denen wir in der Jugend Kontakt gehabt haben. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir ein anderes Bild des Alterns brauchen. Wenn ich zum Beispiel im Studentenunterricht die Frage stelle: ,Was assoziieren Sie mit Alter?', dann stehen innerhalb weniger Minuten zehn Punkte auf der Minusseite und drei bis vier Punkte auf der Plusseite. Die Masse der Bevölkerung assoziiert mit Hochaltrigkeit immer noch Begriffe wie Demenz, Pflegebedürftigkeit und Altersheim", sagt von Renteln-Kruse.

Die positiven Aspekte werden viel zu selten gesehen, dabei kann das Älterwerden aus der Summe der eigenen Erfahrungen, dem, was man gelernt hat, dazu führen, dass man sich nicht mehr so schnell aufregt, Dinge besser einordnen kann, auf neue Trends nicht mehr so schnell hereinfällt. Ältere haben im Prinzip eine wesentlich breitere Erfahrungsgrundlage dafür, ein Urteil zu fällen und gelassen zu bleiben.

Auch für körperliche Fitness im höheren Alter sind nicht nur körperliche Grenzen entscheidend, sondern auch, wie gut das Gehirn Aufgaben koordinieren kann. "In unserem Forschungsprojekt LUCAS (Longitudinal Urban Cohort Ageing Study) gehen Studienteilnehmer für Ganganalysen über einen speziellen Teppich und werden gebeten, dabei zum Beispiel von hundert rückwärts laut zu rechnen. Die Art und Weise, sich sicher im Raum zu bewegen, wird vom Gehirn beeinflusst", sagt der Altersforscher. Aus messbaren Abweichungen in der Ganganalyse könnten auch Hinweise auf bestehende oder beginnende Leistungseinschränkungen des Gehirns erkannt werden, erklärt von Renteln-Kruse und nennt als zweiten wichtigen Faktor für körperliche Fitness die Motivation: "Wenn ich jemanden motivieren will, sich mehr zu bewegen, gelingt mir das am besten und nachhaltig am ehesten, wenn ich ihm etwas vorschlage oder empfehle, woran er auch Freude hat und die Erfahrung macht: Ich fühle mich besser und bin überrascht davon, dass ich etwas noch kann, was ich mir gar nicht mehr zugetraut habe."

Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. "Wenn wir anerkennen, dass derzeitige 'Fakten' nicht unveränderbar sind, tun sich neue Möglichkeiten auf", schreibt Ellen Langer. Der erste Schritt dahin sei, Körper und Geist als Einheit zu betrachten. "Wir haben gesehen, dass unsere Haltungen, Ideen und Überzeugungen genauso wichtig für unsere Gesundheit sind wie unsere Diäten und Ärzte."