Am UKE lernen Studenten am Simulator, Babys per Saugglocke auf die Welt zu holen

Hamburg. Als die nächste Wehe einsetzt und Liu Wu, 30, schwanger in der 41. Woche, vor Schmerz aufschreit, beginnt Ioana Paradowski mit der Entbindung. Behutsam tastet die 28 Jahre alte Medizinstudentin im Unterleib der Schwangeren mit Zeige- und Mittelfinger über den Kopf des Babys, bis sie die kleine Fontanelle fühlt. Dieser dreieckige Bereich am Hinterkopf ist noch weich und nicht verknöchert; dort darf sie den Vakuumextraktor nicht ansetzen - der Druck könnte für das Baby gefährlich sein. Der Vakuumextraktor besteht aus einer weichen, handballengroßen Kunststoffschale, die über einen Schlauch mit einer Unterdruckpumpe verbunden ist.

Paradowski führt die Schale in den Unterleib ein. "Etwas mehr nach hinten ... genau ... jetzt mehr nach links - und stopp", sagt Dr. Marianne Löwisch, die der Studentin assistiert. Wieder schreit die Mutter auf, doch Paradowski lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen und betätigt die Pumpe. In der Schale entsteht ein Unterdruck, dadurch saugt sie sich am Hinterkopf des Babys fest. "Jetzt müssen Sie ziehen", sagt Löwisch, "aber nicht zu fest, sonst könnte sich ein Bluterguss bilden." Wie in Zeitlupe taucht der Kopf des Babys aus dem Unterleib auf. Paradowski zieht jetzt etwas stärker, die Mutter schreit lauter. Millimeterweise schiebt sich der Kopf hervor; nach zwei Minuten ist er schließlich ganz zu sehen. "Gut gemacht", lobt Löwisch. Sie dreht sich um: "Das probieren wir gleich noch einmal. Wer möchte als Nächster?"

Das Baby, das Ioana Paradowski an diesem Mittwochmittag im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) zur Welt gebracht hat, ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Kunststoff; es trägt den Namen Ken. So steht es auf dem Monitor, der über einem dicken Bauch und zwei Beinschenkeln aus Kunststoff montiert ist. Die Silikonapparatur soll den Unterleib einer Schwangeren darstellen. Auf dem Monitor kann man verschiedene Schwangerschaftsszenarien auswählen; Fotos zeigen die werdenden Mütter. Für die Chinesin Liu Wu, so teilt der Simulator mit, ist es bereits die vierte Geburt. Die Maschine reagiert erst, wenn ihr Benutzer die künstliche Geburt einleitet: Dann schiebt ein Motor das Kunststoffbaby aus dem Unterleib hervor; rote oder grüne Pfeile signalisieren, ob der Geburtshelfer das Baby in die richtige oder falsche Richtung zieht.

Als eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland hat das UKE gleich zwei der Geburtssimulatoren namens Simone gekauft, zum Stückpreis von rund 35 000 Euro. "Simulationstechnik spielt in der Ausbildung eine immer größere Rolle", sagt Marianne Löwisch. Die Gynäkologin von der Klinik für Geburtshilfe am UKE schult an dem Simulator regelmäßig Medizinstudenten im sechsten bis achten Semester in der Vakuumextraktion. So heißt die Entbindung per Saugglocke, die etwa zehn Prozent aller Geburten ausmacht. Die meisten Babys kommen ohne Hilfe zur Welt, einige durch einen Kaiserschnitt oder per Zange.

Eine Saugglockenentbindung ist immer dann notwendig, wenn eine Geburt möglichst rasch beendet werden muss, weil die Herztöne des Kindes zu langsam werden und es nicht mehr genügend Sauerstoff bekommt, oder wenn die Schwangere eine Herzkrankheit hat oder sehr geschwächt ist und deshalb nur schwach pressen darf. Dass die Studenten diese Technik schon so frühzeitig an einem Geburtssimulator erproben könnten, sei ein enormer Vorteil, betont die Gynäkologin Marianne Löwisch: "Früher waren solche Übungen während des Medizinstudiums nicht möglich. Erst während der Facharztausbildung gab es die Gelegenheit, bei einer Geburt zu assistieren - bei einer echten Geburt natürlich."

Aber ist es tatsächlich sinnvoll, an einem Frauenunterleib aus Kunststoff zu üben? "Ja, denn man bekommt ein Gefühl für die Lage des Babys", sagt Ioana Paradowski. "Ich konnte spüren, wohin ich die Saugglocke ziehen musste, weil die Maschine die richtige Richtung unterstützt." Auch Doktorand Henning Nogens, 34, ist vom Nutzen des Simulators überzeugt: "In Büchern wird die Saugglockenentbindung kompliziert beschrieben. Deshalb ist der Geburtssimulator eine große Hilfe."

Dass es tatsächlich lehrreich sein kann, zunächst am künstlichen Unterleib zu trainieren, zeigt sich im Laufe der Übung immer wieder: Mehrfach rutscht einem Studenten die Saugglocke ab, weil er zu fest zieht - im echten Kreißsaal wäre dieser Fauxpas für Mutter und Kind eine unangenehme Erfahrung. Bei einer Kommilitonin, die als Nächste an der Reihe ist, blinkt auf dem Monitor eine Minute lang der rote Pfeil, weil sie die Saugglocke in die falsche Richtung zieht.

Aber es ist ja nur eine Übung. Und die nimmt schließlich für alle Teilnehmer eine glückliches Ende: Neben Ken erblicken an diesem Mittwochmittag noch Ronja, Nina, Tarek und Jan das Licht der Welt. Soll keiner sagen, Simone sei nicht produktiv.