Laien-Defibrillatoren könnten weitaus mehr Menschen vor dem Herztod retten, sagen Experten. Doch in Hamburg sucht man sie vielerorts vergeblich

Hamburg. Etwas schüchtern sitzt er in der Ecke seines tiefen Sessels. Seine Finger tippen nervös auf die Lehne, seine Augen wissen nicht genau, wo sie hinsehen sollen. Heinz Grimm trifft zum ersten Mal die beiden Menschen, denen er sein Leben zu verdanken hat. Ohne Günther Schulz und Jörg Albiez würde der 62-Jährige vermutlich tot sein, mitten aus dem Leben gerissen. So wie mehr als 100 000 andere, die jedes Jahr in Deutschland am plötzlichen Herztod sterben.

Es war ein Sonnabendvormittag, als Grimm mit seiner Lebensgefährtin Monika Baumgarten in Quickborn auf den Marktplatz ging. Sie brachte ein paar Bücher weg, danach tranken sie noch einen Kaffee. "Und plötzlich war er weg", erinnert sich Monika Baumgarten. Zusammengesackt im Stuhl, das Gesicht blass, den Kopf zur Seite geneigt.

Günther Schulz saß in diesem Moment am Tisch nebenan. In den nächsten Minuten wurden er und Albiez zu Grimms Rettern. Schulz begann sofort mit der Herzdruckmassage und rief seinen Kollegen von der freiwilligen Feuerwehr dazu. Der Oberlöschmeister machte sich mit Blaulicht auf den Weg. Mit im Gepäck: ein automatisierter externer Defibrillator, kurz AED genannt. Diesem Elektroschock-Gerät und der schnellen Hilfe der Feuerwehrmänner hat Grimm sein Leben zu verdanken.

Der Defibrillator hat zwar einen komplizierten Namen, ist aber so leicht zu bedienen, dass er auch den umgangssprachlichen Namen "Laien-Defibrillator" trägt. Eine Sprachsteuerung sagt dem Helfer im Ernstfall genau, was er zu tun hat - Bedienungsfehler sind praktisch ausgeschlossen. Am Tag des Wiedersehens hat Albiez das Gerät mitgebracht und klappt es zur Vorführung auf. "Wenn Patient nicht reagiert und nicht normal atmet: Oberkörper frei machen und Elektroden aufkleben", spricht der AED sofort mit männlicher Stimme. "Elektroden auf den entblößten Brustkorb kleben", fährt er fort, bis man seine Anweisungen befolgt. "Ich analysiere." Erkennt der Defibrillator einen gesunden Herzschlag, empfiehlt er: "Kein Schock." Diagnostiziert er aber ein Kammerflimmern, lautet das nächste Kommando: "Schock wird vorbereitet. Zurücktreten. Blinkende Taste drücken."

Zwei Elektroschocks jagte das Gerät damals innerhalb von vier Minuten durch Grimms Körper. Jeder Einzelne war ein Schock für sein Leben. Mehrere Tausend Volt durchfuhren ihn. In etwa so, als ob er in mehrere Steckdosen gleichzeitig gefasst hätte. Vor der Defibrillation schlagen die Herzmuskeln mit 500 statt 70 Schlägen pro Minute und können deshalb kein Blut mehr pumpen. Dieses "Kammerflimmern" ist die Vorstufe zum plötzlichen Herztod. "Der Elektroschock wirkt wie ein Reset beim Computer: Durch ihn zucken alle Herzmuskeln gleichzeitig, entspannen sich und fangen dann wieder kontrolliert und koordiniert zusammen an zu schlagen", erklärt Dr. Stefan Maisch, Notfallmediziner am UKE.

Die beiden Retter hatten den AED zum Glück schnell zur Hand. Doch wäre Grimm an anderer Stelle kollabiert, hätte er dieses Glück möglicherweise nicht gehabt. In Hamburg ist die Ausstattung stark belebter Orte mit den Defibrillatoren bislang sehr mangelhaft. Zwar gibt es bereits einige Geräte, doch ihre Standorte sind bisher nicht systematisch erfasst: Die Gesundheitsbehörde räumte auf Abendblatt-Anfrage ein, dass man nicht sagen könne, wo sich Defibrillatoren befinden. Dabei liegen inzwischen einige Studien vor, die nachgewiesen haben, dass an öffentlichen Orten mit vielen Menschen der Einsatz von AEDs zu einer signifikanten Verbesserung der Überlebensrate von Patienten mit Kammerflimmern führte. "Statt 15 bis 30 Prozent könnten dann über 70 Prozent der Opfer überleben", sagt Dr. Maisch. Er hält besonders die Ausstattung von stark frequentierten Orten für sinnvoll.

Von denen gäbe es in Hamburg eigentlich genug: Doch die Hochbahn, die pro Jahr rund 190 Millionen Fahrgäste in der U-Bahn transportiert, hat an keiner einzigen der 89 Haltestellen einen Defibrillator deponiert. Auch bei der S-Bahn sieht es nicht besser aus: 68 Haltestellen - null AEDs. Eine Anschaffung der Geräte hält man hier mit Verweis auf die konventionellen Rettungsmaßnahmen nicht für nötig.

Ein schlechtes Bild geben auch Hamburgs Schulen ab. Die Defibrillatoren gibt es nach Auskunft der Schulbehörde an keiner Schule, Erste Hilfe ist nicht Gegenstand von Bildungsplänen und Schulunterricht. "Dass Erste Hilfe noch immer nicht zum Lehrplan gehört, ist ein gravierender Mangel, und auch der Nahverkehr macht es sich mit seiner Ausrede viel zu einfach", kritisiert Dr. Maisch. Allerdings reiche es nicht, die Geräte bloß aufzuhängen. Die Bürger müssten umfassend darüber aufgeklärt werden. Als geeigneten Ort nennt der Mediziner Filme, das Fahrgastfernsehen der U-Bahn und Video-Leinwände. "Ist ein AED vorhanden, kann man nur eins falsch machen: das Gerät nicht einsetzen oder die anderen Basismaßnahmen vernachlässigen."

Dass es auch besser geht, zeigen andere Beispiele: München war 2001 weltweit die erste Stadt, die AEDs im U-Bahn-Bereich öffentlich verfügbar gemacht hat. Hier wurden seit 2001 insgesamt 48 Defibrillatoren in den U-Bahn-Stationen installiert. Sie haben bereits zehn Menschen das Leben gerettet. Vorbildliche Orte gibt es aber auch in Hamburg: Der Flughafen hat 82 Laien-Defibrillatoren aufgestellt, und die großen Einkaufszentren verfügen ebenso über die Geräte wie die Hamburger Hilfsorganisationen Malteser, Johanniter, Rotes Kreuz und ASB.

Ohne die schnelle Hilfe wäre es für Grimm vermutlich zu spät gewesen. Denn mit jeder Minute, in der dem Opfer nicht geholfen wird, sinkt seine Überlebenschance um zehn Prozent; nach spätestens zehn Minuten ist es tot.

Zum Abschied gaben seine Retter Heinz Grimm noch etwas Besonderes: das Protokoll, das der AED während des Einsatzes aufgezeichnet hatte. Auf ihm sieht er schwarz auf weiß, was beinahe seinen Tod bedeutet hätte: statt eines regelmäßigen Pulsschlags nur wirre Linien. Sie sehen ungesund aus, wie gekritzelt. Günther Schulz bringt es norddeutsch-nüchtern auf den Punkt: "Sie waren eigentlich schon hinüber."