Hannover. Dank intensiver Impfmaßnahmen hat es seit 1990 in Deutschland keinen Fall von Kinderlähmung (Polio) mehr gegeben. Das könnte sich vielleicht bald ändern: "Die Erkrankung steht vor der Haustür", sagte der Leiter der Niedersächsischen Gesellschaft für Impfwesen und Infektionsschutz, Prof. Adolf Windorfer, gestern in Hannover. Die Situation sei derzeit in Deutschland zwar nicht bedrohlich, aber langfristig könne die Krankheit eingeschleppt werden. Kinderlähmung wird durch Polio-Viren hervorgerufen. Sie befallen vor allem Nervenzellen im Rückenmark, die Muskeln steuern. Die Erkrankung kann zu Lähmungen bis hin zum Tod führen und ist vor allem für Kinder und Jugendliche gefährlich.

Im Frühjahr seien 650 Fälle von Kinderlähmung in Tadschikistan registriert worden. Auch nach Russland, das seit mehreren Jahrzehnten poliofrei war, sei die Krankheit wieder eingeschleppt worden. Die Fälle zeigten, wie schnell es zu einer Ausbreitung kommen könne, sagte Windorfer, der auch Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist, die die Polio überwacht. Da vor allem Usbekistan, das Nachbarland von Tadschikistan, zunehmend für Touristen attraktiver geworden sei, könne aus dem Land auch die Krankheit eingeschleppt werden. Als "Gefahrenregionen" gelten Windorfer zufolge Afrika, der Nahe Osten, Zentralasien und der subindische Kontinent. Der Impfschutz dürfe bei einer Reise in diese Gebiete nicht mehr als zehn Jahre zurückliegen, sagte Windorfer. Deshalb sei eine Auffrischung der Polio-Impfung ratsam. "Die Impfung ist eine Kassenleistung, sie kostet nichts."

Die WHO hatte 2002 den gesamten europäischen Raum für Polio-frei erklärt.