Eine implantierte Oberschenkel-Sehne kann dafür sorgen, dass die Kniescheibe einen festen Sitz bekommt und nicht mehr so leicht schmerzhaft herausspringt.

Hamburg. Wenn man das Bein ausstreckt, kann man sie zwischen den Fingern erfühlen, spüren, wie sie auf dem Gelenk sitzt: die Kniescheibe. Und dann ist vielleicht auch vorstellbar, wie schnell sie aus ihrem natürlichen Lager herausspringen kann. "Das passiert vor allem, wenn jemand bei einem Unfall direkt auf das Knie fällt, zum Beispiel bei einem Skiunfall, oder sich beim Sport das Knie verdreht", sagt Dr. Oliver Dierk, leitender Arzt der Sportorthopädie im Albertinen-Krankenhaus.

Am häufigsten betroffen aber sind Menschen mit angeborenen Instabilitäten der Kniescheibe. "Unter ihnen gibt es welche, die sich zehnmal im Jahr die Kniescheibe ausrenken", erzählt der Orthopäde.

Um dieses immer wiederkehrende schmerzhafte Herausspringen der Kniescheibe aus ihrem natürlichen Gleitlager zu verhindern, gibt es jetzt eine neue Operationsmethode, die sogenannte MPFL-Rekonstruktion. MPFL steht für mediopatellofemorales Ligament. Gemeint ist damit das Band, das von der Innenkante der Kniescheibe zum Oberschenkelknochen zieht. "Dieses Band ist anatomisch betrachtet der wichtigste Pfeiler zur Sicherung der Kniescheibe. Auch in biomechanischen Studien wurde nachgewiesen, dass dort der relevante Schaden entsteht, wenn man sich die Kniescheibe ausrenkt", erklärt Dierk Reißt. Dann springe die Kniescheibe nach außen, aus dem Gelenk heraus.

Dass das MPFL der wichtigste Stabilisator ist, ist schon länger bekannt, die Möglichkeit des Ersatzes gibt es aber erst seit Kurzem. "Wir entnehmen aus der Rückseite am Oberschenkel eine Sehne, eine von denen, mit denen man auch gerissene Kreuzbänder im Knie ersetzt. Dann werden die beiden freien Enden der Sehne mit zwei resorbierbaren Schrauben im oberen Drittel der Kniescheibe befestigt. Jetzt haben wir sozusagen einen mechanischen Zügel, den wir unter den Muskeln hindurchführen und an einem bestimmten Punkt im Oberschenkelknochen festschrauben", erklärt der Chirurg. Das sei eine der schwierigsten Phasen der Operation. Denn dieser Punkt darf weder zu weit vorn noch zu weit hinten liegen, nicht zu tief und nicht zu hoch. "Denn sonst wird der natürliche Lauf der Kniescheibe beeinflusst, was dann zum Verschleiß des Knorpels und damit zur Arthrose führen kann", sagt Dierk. Anschließend wird die Sehne an diesem Punkt befestigt, Und weil der Zügel gespannt ist, kann die Kniescheibe nicht mehr nach außen springen. Sie bleibt in ihrem natürlichen Gleitlager.

Die Operation dauert 45 Minuten. Dabei sind drei kleine Operationsschnitte erforderlich: Mit einem Schnitt von 2,5 Zentimeter Länge wird die Sehne am Schienbeinkopf entnommen. Ein zweiter 2,5 Zentimeter langer Schnitt setzt am oberen Drittel der Kniescheibe an, ein ein Zentimeter großer Schnitt an der Innenseite des Oberschenkels. Nach der Operation können die Patienten sofort nach Hause gehen.

Dierk hat in den vergangenen anderthalb Jahren bereits 30 Patienten mit der neuen Methode operiert, benutzt aber auch noch andere Behandlungsmethoden: "Handelt es sich um einen ganz frischen Riss, würde ich zunächst versuchen, das Band zu nähen. Nur wenn das nicht funktioniert, würde ich die neue Methode anwenden. Und ist das Band nicht komplett gerissen, sondern nur zum Teil, würde ich den Patienten nicht operieren, sondern für sechs Wochen mit einer Schiene versorgen."

Die neue Methode hält Dierk für besser als die herkömmlichen OP-Verfahren, die ein erneutes Ausrenken der Kniescheibe verhindern sollen: "Die Alternativen, die man bisher hatte, waren zum Beispiel, dass der Ansatz der Kniescheibensehne abgemeißelt, nach innen versetzt und wieder angeschraubt wird. Dadurch wird aber der Laufweg der Kniescheibe im Gleitlager verändert. Das passiert bei der MPFL-Rekonstruktion nicht. Zudem haben Studien gezeigt, dass bei den anderen Techniken die Kniescheibe in 15 bis 30 Prozent der Fälle erneut ausrenkt, bei der neuen Methode sind es nach den bisherigen Kurzzeitergebnissen nur fünf Prozent.

Auch die Nachbehandlung ist wesentlich einfacher: "Bei allen anderen Verfahren müssen die Patienten das Bein sechs Wochen entlasten, Nach einer MPFL-Rekonstruktion können die Patienten es gleich bis zu 90 Grad beugen und nach 14 Tagen voll belasten. Nach sechs Wochen können sie mit Krafttraining und leichtem Lauftraining beginnen."