Bei der Zuckerkrankheit spritzen die Patienten lebenslang Insulin. Die achtjährige Jamila hat dies gelernt, geht routiniert mit der Krankheit um.

Hamburg. Ganz verschwommen kann Jamila sich noch daran erinnern, wie das mit ihrer Zuckerkrankheit anfing. "Ich habe sehr viel Durst gehabt", sagt die Achtjährige. Mutter Alexandra Hachmeister nickt. "Sie hat mindestens drei Liter getrunken am Tag." Zwei Wochen ging das so. Eine Krankenschwester hatte den Verdacht, es könnte Diabetes sein. Das bestätigte sich nach Blut- und Urintests beim Kinderarzt: Der Blutzucker lag bei 600 mg/dl, normal wären zwischen 60 und 140 mg/dl, je nachdem, wie lange die letzte Mahlzeit zurückliegt. "Das hieß dann für uns: sofort ins Altonaer Kinderkrankenhaus, zwei Wochen lang", sagt Hachmeister.

Dass nicht nur ältere Menschen, sondern auch Kinder Diabetes haben können, verblüfft manche Menschen. "Nicht selten bekommen Kinder zu hören: Du hast Diabetes? Du hast wohl zu viel genascht!", sagt Diabetologin Ulrike Menzel, 43, die Jamila in der Ambulanz der Kinderklinik betreut. Dabei hat dieser sogenannte Typ-1-Diabetes nichts mit Ernährung als Ursache zu tun, vielmehr ist es eine bisher nicht heilbare Autoimmunkrankheit. "Der Körper kämpft gegen Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die Insulin herstellen, diese werden dadurch zerstört." Auf etwa 600 gesunde Kinder kommt ein Kind mit Typ-1-Diabetes, sie müssen lebenslang Insulin spritzen. Im Gegensatz dazu steht der Typ-2-Diabetes, bei dem auch andere Therapien zur Verfügung stehen (siehe Interview).

Vier Jahre weiß Jamila nun, dass sie Diabetes hat. Aus dem Schock und der Unsicherheit der ersten Monate ist ein routinierter Umgang mit der Erkrankung geworden. "Am Anfang wussten wir nicht: Was bedeutet das für unser Leben?", sagt Alexandra Hachmeister. Angst und Traurigkeit - die Gefühle von Jamilas Mutter fuhren Achterbahn. "Jamila machte sich viel weniger Sorgen." Inzwischen geht Jamila in die dritte Klasse und managt ihren Alltag mit Diabetes ziemlich selbstständig. Sie ist sportlich, macht Aikido, geht schwimmen. Im vergangenen Jahr lief sie den Kindermarathon in Hamburg mit, 4,2 Kilometer in 28 Minuten. Sie ist gut in Mathe, das hat auch etwas damit zu tun, dass sie sehr früh rechnen lernen musste.

Denn kniffelig ist die "Einstellung" eines Diabetes schon: Mindestens viermal am Tag misst Jamila ihren Blutzucker. Sie pikst sich dafür in einen Finger, der Blutzucker wird in einem Gerät gemessen. Dieses übermittelt den Wert an Jamilas Insulinpumpe, die sie in einer kleinen Tasche vorm Bauch trägt. Ein feiner Schlauch läuft von dort an eine Stelle unter der Haut am Bauch oder Oberschenkel.

Jamila muss beim Essen vor allem darauf achten, wie viele Kohlenhydrate sie isst. Nach den Mahlzeiten tippt sie auf der Pumpe ein, wie viele Broteinheiten (BE) sie gegessen hat. Die Pumpe rechnet aus, wie viel Insulin in Jamilas Körper fließen muss. Doch wenn ihr Blutzucker zu niedrig ist und Jamila sich schlapp fühlt, muss sie abschätzen können, wie viel Traubenzucker oder welches Nahrungsmittel ihr guttut. Die Pumpe macht Jamilas Leben leichter - bis vor einem Jahr setzte sie sich mehrfach am Tag selbst Spritzen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, mit einer Pumpe herumzulaufen. Jetzt ist sie froh darüber; ihr Freund Finn, den sie auf einer Kur kennengelernt hat, überzeugte sie. Vorm Sport nimmt sie die Pumpe ab, ein Pflaster schützt die Einstichstelle.

Für die Behandlung der Kinder sei die Zusammenarbeit mit den Eltern sehr wichtig, betont Menzel. "Ist es zu Hause schwierig, klappt es oft auch nicht mit der Behandlung des Diabetes", sagt die 43 Jahre alte Ärztin. Zum Konzept in Altona wie auch am Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift gehören daher Schulungen für Eltern und gemeinsame Wochen auf Station. In Altona werden etwa 350 Kinder betreut, am Wilhelmstift in Rahlstedt plus Dependance in Heidberg 520.

Zum Team gehören Diabetes- und Ernährungsberater, Sozialarbeiter, Psychologen, Kinderkrankenschwestern, denn viele Aspekte spielen bei der Krankheit eine Rolle. Ulrike Menzel betont: "Die Kinder müssen gut im Hier und Jetzt leben, auch mal naschen, am Leben teilhaben können. Wir müssen aber auch an später denken - denn Diabetes kann Folgeerkrankungen mit sich bringen."

Als Folge von jahrelang zu hohen Glukosewerten können Schäden an den Blutgefäßen und somit auch an Herz, Nieren, Nerven oder Augen entstehen. Ein Marker für den Verlauf der Krankheit ist der HbA1c-Wert im Blut, er gibt Auskunft darüber, wie hoch der Blutzucker in den vergangenen Monaten war.

"Früher waren die Folgeschäden viel dramatischer als heute", sagt Dr. Rudolf Lepler (siehe Interview). Als er in den 1980er-Jahren begann, Kinder mit Diabetes zu behandeln, mussten sich die Ärzte auf die Laboruntersuchungen des Urins verlassen, sie konnten nur indirekt Rückschlüsse auf die Werte im Blut ziehen.

"Der medizinische Fortschritt hat zwar noch keine Heilung der Krankheit gebracht, die Kinder können aber doch sehr gut damit leben", sagt der 64 Jahre alte Arzt.

Das bestätigt auch Dr. Andreas Klinge, niedergelassener Diabetologe in Othmarschen. Er übernimmt die Jugendlichen, wenn sie zu alt sind für die Ambulanzen der Kinderkliniken, also meistens mit 18. "Nur wenige Prozent der Kinder haben Folgeschäden, auch wenn sie schon jahrelang Diabetes haben. Die Phase, in der sie in die Erwachsenenmedizin eintreten, kann jedoch schwierig sein", sagt Klinge. "Die Pubertät mit ihren Hormonschwankungen ist noch nicht vorbei, die Jugendlichen lösen sich ab vom Elternhaus, manche ziehen aus, der stark strukturierte Schulalltag wird abgelöst durch einen anderen Alltag in der Ausbildung oder beim Studium, die Jugendlichen wollen austesten, was geht. Das sind Dinge, die ohnehin für viele nicht so einfach sind. Und dann kommt auch noch diese Erkrankung hinzu ..."

Oft gingen in den ersten anderthalb Jahren nach dem Wechsel in die Erwachsenenpraxis die HbA1c-Werte in die Höhe. "Dann muss ich vor allem die Eltern beruhigen: Das wird auf jeden Fall wieder besser, es braucht aber vielleicht eine gewisse Zeit." Auf der Suche nach einem Diabetologen sollten sich die Jugendlichen ruhig mehrere anschauen. "Sie müssen sich wohlfühlen, die Chemie muss stimmen."

Bis Jamila 18 ist, dauert es noch eine Weile. Und so wird sie weiter regelmäßig zu Frau Menzel gehen.

Die weiteren Folgen

1.2. Diabetes

2.2. Asthma und Allergien

3.2. Erkältungen

4.2. Sport und geistige Entwicklung

6.2. Spielen und seine Bedeutung

7.2. Kopfschmerzen

8.2. Ernährung

9.2. Augenkrankheiten

10.2. Unfälle

11.2. Gesundheitsgipfel