Joggingschuhe mit aufwendigen Dämpfungssystemen schaden den Gelenken. Experten sagen, worauf Freizeitläufer beim Kauf achten sollten.

Joggingschuhe sind der Fetisch des Freizeitläufers. Sie kosten oft mehr als 100 Euro und haben allerhand bunte, komplexe Zusatzelemente, die schick aussehen und Schutz vor gefährlichen Belastungen verheißen. Ein Versprechen, das moderne Laufschuhe aber gar nicht einlösen, wie eine aufsehenerregende Studie aus Amerika nun behauptet: Die Schuhe belasten die Gelenke demnach sogar stärker als Barfußlaufen.

Ein Forscherteam der University of Virginia hatte 68 Sportler aufs Laufband geschickt, barfuß und in sogenannten Stabilschuhen mit einer stützenden Mittelsohle. Ergebnis: An Hüft-, Knie- und Fußgelenken traten höhere Belastungen auf, wenn die Läufer Schuhe trugen. Eine Erkenntnis, über die Abebe Bikila wohl nur müde lächelt. Der äthiopische Marathonläufer gewann 1960 in Rom Olympia-Gold - barfuß.

Was ist von der Studie zu halten? Sind neuartige Schuhe wirklich so schädlich? Welche Schlüsse sollten Läufer aus den Ergebnissen ziehen? Was sagen Mediziner, Trainer und Hersteller?

Die Laufschuhindustrie zeigt sich von den Forschungsergebnissen nicht überrascht. "Das Thema ist nicht neu", sagt Stefan Moosleitner vom amerikanischen Laufschuhhersteller Newton Running. "Auch den Trend zum ,natural running' und Barfußlaufen gibt es bereits seit einigen Jahren." So hört man es auch von Adidas. Und Reinhold Sussmann, Chefentwickler bei Puma, sagt: "Grundsätzlich stimmen wir der Studie zu: Es ist nicht richtig, dass Dämpfung vor Verletzungen schützt." Je weicher ein Schuh gedämpft ist, desto instabiler wird er, sagt Sussmann. Dadurch steigt das Verletzungsrisiko. Dass umgekehrt harte Schuhe Verletzungen auslösen, könne nicht nachgewiesen werden.

Kritiker gängiger Schuhmodelle sagen, dass massive Dämpfungssysteme dazu verleiten, über die Ferse zu laufen. Dadurch wird der Fuß vor der Körperachse aufgesetzt, die Vorwärtsbewegung abgebremst und die Gelenke werden stärker belastet. Beim natürlichen Laufen auf dem Mittel-/Vorfuß setzt der Fuß dagegen näher an der Körperachse auf, was zu einem "runderen" Bewegungsablauf führt. Das aktiviert das natürliche Dämpfungssystem des Körpers: die Muskulatur.

Die Hersteller rüsten aber seit Jahren um die Wette auf und bringen in kurzen Abständen Modelle in die Regale, die sich in ihrer Kissenhaftigkeit geradezu überbieten. Längst nicht jede Innovation sei sinnvoll; die Nachfrage bestimme aber das Angebot, glaubt Dr. Matthias Marquardt, Spezialist für Bewegungsanalyse: "Der Kunde will lieber mehr Technologie als weniger."

Der Schuh als Statussymbol: Was dem Sportwagen der Spoiler am Heck, ist dem Schuh das Polster in der Sohle. Außerdem würden Laufschuhe von den Herstellern als orthopädisches Instrument vermarktet. Dadurch erwarteten die Läufer von Schuhen zu viel - nach dem Motto: Wenn es im Oberschenkel zwickt, liegt es an den Sohlen, nicht am falschen Training. "Das Wunschdenken ist: Der Schuh nimmt mir das Training ab", sagt Marquardt.

Der Laufexperte (Autor der "Laufbibel") gibt auch Verkäufern Schuld. Diese seien schlecht ausgebildet und würden Schuhe mit Stützelementen empfehlen - selbst wenn das Ergebnis der Laufbandanalyse es gar nicht erfordere: "Ohne es zu müssen, rennt ganz Läufer-Deutschland mit Stützen herum." Jörg Matthé vom Fachhändler "Lex" streitet das ab: "Die Lex-Mitarbeiter werden von Orthopäden und Sportwissenschaftlern geschult."

Matthé, Gewinner des Leipzig Marathons 2008, hält von der Barfuß-Studie wenig: "Gerade Anfänger brauchen Laufschuhe, die stabilisieren und führen." Jeder Läufer sei zudem individuell zu betrachten, seine Statur, sein Alter, seine Laufgewohnheiten bei der Wahl des Schuhs zu berücksichtigen. Auch Thomas Eickmann, diplomierter Lauftrainer, sieht die Studie mit "sehr viel Skepsis". Bei Gesunden findet er keinen Grund, auf weiche Laufschuhe zu verzichten. Fehlbelastungen würden nur auftreten, wenn der Läufer vorgeschädigt sei - Dämpfung hin oder her.

Was sollten Läufer aber tun, um Fehlbelastungen zu verhindern, ohne sich allein auf die Schuhe zu verlassen? Fortgeschrittene variieren am besten ihr Training. Das heißt: regelmäßig Schuhe und Untergrund wechseln. Das verhindert eine monotone Fußstellung. Lauftrainer verordnen ihren Athleten nach Tempoeinheiten Barfußläufe auf Rasen. Das trainiert die Fußmuskulatur und fördert die Stabilität der Gelenke. Nur wenige Sportartikelhersteller bieten bisher Produkte an, die ein solches Training unterstützen.

Nike hat schon vor Jahren ein Modell eingeführt, das eine Simulation des Barfußlaufens verspricht. Der "Free Trainer", ein Schuh mit beweglicher Sohle, wird von Experten zwar als große Innovation gelobt, verkauft sich allerdings eher als Lifestyle- denn als Laufschuh. Newton Running bewirbt seine Schuhe damit, dass sie das "natürliche Laufen" unterstützen. Und die amerikanische Firma Vibram produziert mit den "Fivefingers" einen Schlappen, der aussieht wie ein Fahrradhandschuh und sich wie eine zweite Haut anfühlen soll.

Bedeutet das Ergebnis der Studie nun, dass Läufer künftig die Hightech im Schrank lassen und die alten, schnickschnackfreien Joggingschuhe aus den Achtzigern entmotten dürfen? "Im Prinzip schon. Allerdings muss man den Herstellern zugestehen, dass die modernen Schuhe in Sachen Obermaterial und Passform viel besser geworden sind", sagt Mediziner Marquardt. Er empfiehlt Hobbyläufern Schuhe mit geringer Sprengung - also flachen Absätzen - sowie schmaler Passform und harter Dämpfung. Der Trend geht ohnehin in diese Richtung: Harte, leichte Neutralschuhe lösen die schweren, gut gedämpften Stabilschuhe ab.

Vielleicht entsteht der Laufschuh der Zukunft in Magdeburg. Sportwissenschaftler basteln dort an einem Schuh ohne Fersenabsatz, der das Laufen mit dem ganzen Fuß unterstützen soll - sogar die Ökobilanz soll stimmen.

Weitere Informationen: http://achim-achilles.de