Sie ist eine billige und wirksame Alternative, sagen die einen. Sie ist nur eine Hautcreme, urteilen andere. Der Versuch einer Klärung.

Hamburg. Die Dokumentation "Heilung unerwünscht - wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern", die der öffentlich-rechtliche Fernsehsender ARD Anfang der Woche ausstrahlte, zeigt unerwartete (Neben-)Wirkungen: Nachdem jahrelang kein Hersteller für eine neue Creme gegen Neurodermitis und Schuppenflechte gefunden werden konnte, kommt die "verschmähte Creme" (Spiegel) jetzt Mitte November auf den Markt - zusammen mit einem Buch, das den langen Weg in die Regale der Apotheken schildert. Selten wird ein Produkt so schnell hergestellt und verteilt worden sein. Hamburger Experten wundern sich, der Vorsitzende des Deutschen Neurodermitis-Bundes, Thomas Schwennesen, kritisiert: "Es ist eine Schande und blanker Zynismus, dass die PR-Einführung eines normalen Hautpflege-Produkts sich der Pharmaschelte als Aufhänger für eigene Geschäfte bedient."

"Die Datenlage reicht nicht aus, um die Wirksamkeit und die Sicherheit des Produkts zu beurteilen", sagt Prof. Kristian Reich, Mediziner am Dermatologikum in Hamburg. Die Creme, die jetzt unter dem Namen Regividerm in den Handel kommen soll, sei nicht nach den hohen Standards der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) geprüft worden. "Diese Behörde hat sich in den vergangenen Jahren intensiv Gedanken gemacht, was gegen die Erkrankungen hilft", so der Experte für Neurodermitis und Schuppenflechte (Psoriasis). In den vergangen zehn Jahren seien außerdem die Erkenntnisse über das Krankheitsgeschehen gewachsen. Das habe zu deutlich besseren Therapien gegen die beiden Hauterkrankungen, unter denen schätzungsweise zwischen 4,5 bis acht Millionen Menschen in Deutschland leiden, geführt. Man habe inzwischen ein ganzes Arsenal von erprobten Methoden, um die chronischen Entzündungskrankheiten der Haut zu behandeln. "Heilen können wir sie bis heute leider nicht, aber lindern." Ob die neue Creme dazu beitragen könne, müssten erst weitere Studien zeigen.

Im "British Journal of Dermatology" wurde eine Studie mit 49 Patienten veröffentlicht, die an Neurodermitis litten. Bei ihnen erwies sich die Vitamin B12-haltige Creme einem Placebo als überlegen. Eine weitere wurde im "US-Journal of Alternative and Complemantary Medicine" publiziert. Berichtet wird auch, dass 13 Psoriasis-Patienten von der Creme profitierten - die Nebenwirkungen seien im Vergleich zu einem anderen Medikament geringer gewesen.

Allerdings ist Regividerm gar kein Medikament, sie ist gar nicht als Arzneimittel zugelassen. Vielmehr ist Regividerm als "Medizinprodukt der Klasse IIa" in der Europäischen Union und der Schweiz registriert worden.

"Diese Präparate können wir seit 2004 nicht mehr verordnen, die Patienten müssen sie also selber kaufen", erläutert Prof. Matthias Augustin, Leiter der Neurodermitis- und Psoriasis-Sprechstunde am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Der Mediziner freut sich über jedes Mittel, das seinen Patienten helfe. "Bei Schuppenflechte gibt es allerdings bereits Präparate, die sehr wirksam und arm an Nebenwirkungen sind. Und auch bei Neurodermitis haben wir zahlreiche Therapeutik in der Hand." Die Kritik an den Herstellern Novartis, Merck und Wyeth teilt der UKE-Professor nicht. Denn die Nicht-Zulassung als Arzneimittel hat noch eine weitere Nebenwirkung: Der Hersteller braucht einen Vertriebsweg, über den er nicht verschreibungspflichtige Produkte verteilen kann. "Und den haben die Firmen, die keine derartigen Produkte herstellen, eben nicht."

Dass den Firmen Merck und Wyeth vorgeworfen werde, die Salbe nicht produzieren zu wollen, sei etwas absurd. "Diese Firmen stellen keine Salben her, haben also gar keine Produktionsanlagen. Der Vorwurf ist in etwa so, als wenn man einen Autohersteller dafür rügte, dass er ein Super-Fahrrad nicht bauen will", vergleicht der Mediziner. Und auch Novartis könne man kaum einen wirklichen Strick daraus drehen, dass sie dieses Produkt nicht herstellen wolle. Schließlich stelle die Firma bereits Produkte für diesen Sektor her.

Allerdings komme es immer wieder vor, dass Erkenntnisse aus der Wissenschaft nur schleppend umgesetzt würden. "Das ist kein Einzelfall. Es ist noch viel zu tun, damit die Patienten schnell von neuen Erkenntnissen profitieren."

Umfassende Informationen bieten diese Selbsthilfegruppen:

Schuppenflechte: Deutscher Psoriasis-Bund: www.psoriasis-bund.de , Tel: 040/22 33 99 0

Neurodermitis: Deutscher Neurodermitis-Bund: www.neurodermitis-bund.de , Tel: 040/23 07 44