Imam Abu Ahmed Yakobi lebt seit 45 Jahren in Hamburg. Der studierte Volkswirt und Islamwissenschaftler setzt sich seit Jahrzehnten für den interreligiösen Dialog ein. Sein Wunsch: mehr Interaktion zwischen den Gemeinden

Eigentlich wollte Abu Ahmed Yakobi Medizin studieren, als er 1970 aus seiner Heimat Libyen nach Deutschland zog. Im Goethe-Institut in Iserlohn lernte er die deutsche Sprache. Doch als er ein Praktikum im Krankenhaus machte, wurde ihm schnell klar „für den Medizinberuf bin ich nicht geschaffen, da fließt zu viel Blut“, erzählt der 65-Jährige heute schmunzelnd. Stattdessen absolvierte er an der Uni Hamburg ein Studium der Volkswirtschaftslehre und der Islamwissenschaften. Und blieb bei beidem. Er wurde in Hamburg Unternehmer mit internationalen Kontakten. Und er widmete sich fortan dem interreligiösen Dialog und der Lehre des Islam.

Yakobi trägt den Titel eines Imam, auch wenn er keiner Moschee vorsteht. Schon in Libyen hatte er bei Gelehrten verschiedene Fächer des Islam studiert, in Hamburg mit Lehrerlaubis abgeschlossen. Er ist Mitglied der Gemeinde Kocatepe Moschee in Bergedorf und engagiert sich dort in der Jugendarbeit. In der Schura, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V., leitet er als Vorstandsmitglied den Ausschuss für interreligiösen Dialog.

Gefragt nach dem Verhältnis der Deutschen zu den Muslimen, weiß er ein wechselhaftes Bild zu zeichnen. Es beginnt mit den ersten türkischen Gastarbeitern, die 1961 nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei einreisten. Sie wurden ebenso wie die Arbeitsmigranten anderer Nationen generell als Gastarbeiter wahrgenommen. Menschen, die „abends kamen und am nächsten Tag am Band standen“, denen keine Zeit zum Deutschlernen und zur Integration blieb. „Schon die Bezeichnung Gastarbeiter war aus heutiger Sicht ein Fehler, denn die Neuankömmlinge waren keine Gäste, sondern sie blieben in Deutschland. Und sie waren nicht nur Arbeiter, sondern Menschen“, sagt Abu Ahmed Yakobi. Menschen, die mit einer 1400 Jahre alten Islamgeschichte kamen. „Sie gründeten Moscheen, als die Orte, an denen sie ihre Gebete abhalten und die Kinder religiös unterweisen konnten. Ihre Religion gab ihnen Identifikation, war ein Stück Heimat. Und sie hatten die Vorstellung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren.“

Doch die Verhältnisse änderten sich. Je länger man in Deutschland war, um so größer war die Entfremdung zur Heimat, die sich ebenfalls veränderte. „Man nimmt automatisch Eigenschaften des Landes an, in dem man lebt“, sagt Abu Ahmed Yakobi. Viele Türken fühlten sich in ihrer alten Heimat nicht mehr zu Hause. Sie blieben in Deutschland, holten ihre Familien nach. „Bei den eingewanderten Muslimen entwickelte sich ein neues Bewusstsein. Es gab den Wunsch nach Austausch, man öffnete sich, begann mit Veranstaltungen wie dem ,Tag der offenen Moschee’ und interreligiösen Dialogkreisen. Junge Muslime der zweiten Generation gingen zum Teil an die Universität, begannen sich zu artikulieren“, so Familienvater Yakobi, dessen drei erwachsene Töchter einen Universitätsabschluss haben und dessen drei Söhne studieren.

Doch die gute Entwicklung sei durch verschiedene Ereignisse gestört worden. Etwa durch diverse Einwanderungswellen, in denen Muslime verschiedener Nationen, oft aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan, Libanon, Bosnien oder afrikanischen Ländern kamen und hier erst einmal fremd blieben. „Bis heute bekommen Menschen muslimischen Glaubens von außen den Stempel Muslim aufgedrückt. Es wird nicht unterschieden zwischen verschiedenen Nationen. Viele Afghanen, die nach Deutschland flohen, waren zum Beispiel gar nicht religiös und zogen auch ihre Kinder nicht religiös auf“, sagt Abu Ahmed Yakobi.

Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York gerieten Muslime unter den Generalverdacht, potenzielle Terroristen zu sein. „Nach jahrelanger harter Arbeit mit Austausch und Dialog flaute der Generalverdacht allmählich wieder ab“, sagt Yakobi, der in den 90er-Jahren mit der Imamin Halima Krausen die „Initiative für islamische Studien“ an der Uni Hamburg gründete.

Doch das Bild vom gewalttätigen Muslim bekam mit den Verbrechen des „Islamischen Staats“ neue Nahrung. „Es sind Verbrechen, die von Muslimen genauso verurteilt werden wie etwa von Christen. Deswegen wunderten sich viele, dass sie sich als Muslime von solcher Barberei öffentlich distanzieren sollten“, erklärt Yakobi. Dies führte in der muslimischen Gemeinschaft zu zwei Reaktionen: „Die eine Seite, die sich nun für alles entschuldigen und rechtfertigen will und die andere Seite, die alles ignoriert und sagt, damit haben wir nichts zu tun. Mit beidem kommen wir nicht weiter, wir brauchen eine inner-islamische Streitkultur, Probleme müssen thematisiert werden“, sagt Yakobi. Und er sagt es auch im Hinblick auf die Jugend in der islamischen Gemeinde. „Wenn junge Leute beginnen, sich für Religion zu interessieren, schauen sie erstmal ins Internet, gelangen auf die Seiten von Radikalen.“

Diese wüssten Jugendliche anzusprechen, indem sie vermeintlich klare Linien zwischen Gut und Böse zögen. „Doch wenn radikale Salafisten behaupten, sie seien authentisch, weil sie sich auf den Urtext des Koran beziehen, so ist das eine Lüge. Denn aus dem Koran entstanden verschiedene Traditionen, etwa zu Fragen der Lebensführung. Den Koran ohne diese Traditionen zu lesen, ist nicht möglich.“

Deswegen engagiert er sich in der Jugendarbeit. Liest mit jungen Leuten Korantexte, erklärt Inhalte, stellt den Bezug zu ihrem Leben her und vermittelt die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten. Im Rahmen des Projekts „Deradikalisierung und Prävention“ spricht er oft an Schulen, auch mit Lehrern. Es sei wichtig, Pädagogen oder Erzieher in Kitas für die religiösen und kulturellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren. Damit keine Vorurteile aufkämen, wenn sich etwa muslimische Schüler einen Gebetsraum in der Schule wünschen. Und damit es normal werde, dass muslimische und christliche Kinder in einer Kita ihre jeweiligen religiösen Feste zusammen feiern. Diese Art der „kultursensiblen Betreuung“ sollte zur Ausbildung von Pädagogen gehören, sagt er. Denn die Interaktion zwischen Christen und Muslimen, sowie überhaupt zwischen Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, gehöre zur Aufgabe einer liberalen Gesellschaft.