Der Staatsvertrag des Senats mit den Muslimen und Aleviten regelt nicht nur das Recht auf Moscheen, sondern bietet vor allem eine neue Gestaltung des Religionsunterrichts an den Schulen

ie Verträge sind eine Geste.“ Mit diesen Worten kündigte die Hamburger Senatskanzlei im August 2012 ein bedeutsames Projekt an: die Staatsverträge mit drei muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde. Damals befand sich das Paragrafenwerk noch im Entwurfsstadium. Doch knapp ein Jahr später trat die Vereinbarung zwischen Senat und islamischen Verbänden in Kraft. Hamburg war damals bundesweit Vorreiter.

Heute äußern sich muslimische Repräsentanten und Senatsvertreter noch immer positiv über den Stand der Beziehungen. Mit dem Vertrag sei festgeschrieben worden, was schon längst gängige Praxis gewesen sei, heißt es. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): „Die Vereinbarungen sind eigentlich etwas Selbstverständliches. Sie fördern den Zusammenhalt in unserer Stadt und sind zugleich ein Ausdruck des Friedens. Gerade in jüngerer Zeit, nach den Anschlägen in Paris, haben wir erlebt, welch unschätzbarer Gewinn das ist.“ Ähnlich sieht das auch Staatsrat Christoph Krupp (SPD), der den Vertrag federführend für die Stadt aushandelte. Der Staatsvertrag habe für den Senat den „Vorteil gebracht, dass wir jetzt legitimierte Ansprechpartner auf muslimischer und alevitischer Seite haben. Für die Verwaltung gibt es nun klare Handlungsrichtlinien.“

Die größten Veränderungen gibt es jetzt im Bildungsbereich. Denn künftig sollen muslimische Lehrkräfte am bisherigen Religionsunterricht in evangelischer Verantwortung gleichberechtigt mitarbeiten können. Das könnte in der Praxis auch bedeuten, dass im Einzelfall ein Muslim christliche Religion unterrichtet.

Gegenwärtig arbeiten die protestantischen Kirchen gemeinsam mit den muslimischen Verbänden, der alevitischen und der jüdischen Gemeinde an der Weiterentwicklung des dialogischen „Religionsunterrichts für alle“.

Derzeit befindet sich das Modell des neuen, interreligiös verantworteten Religionsunterrichts an zwei Stadtteilschulen in der Erprobungsphase. Die katholische Kirche behält dagegen ihren eigenen konfessionellen Unterricht bei und beteiligt sich daran nicht.

Grundlage für diese Neuorientierung ist der Staatsvertrag mit den Muslimen. Er regelt nicht nur das Recht der islamischen Gemeinschaften, Moscheen zu errichten und diese mit Kuppeln und Minaretten auszustatten (Kapitel 9, Absatz 2). Die Vereinbarung bietet im Bildungsbereich zwei Varianten an. Zum einen können die islamischen Gemeinschaften einen eigenen islamischen Religionsunterricht verlangen und gestalten. Darauf verzichten sie derzeit. Zum anderen garantiert ihnen Artikel 6, Absatz 1, die Möglichkeit der gleichberechtigten Beteiligung am Religionsunterricht, der an den staatlichen Schulen in Hamburg erteilt wird. Diesen Weg wollen die Muslime nach den gegenwärtigen positiven Erfahrungen gehen.

„Ich freue mich sehr, dass die Religionsgemeinschaften am Prinzip des gemeinsamen Religionsunterrichts festhalten wollen“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). „Es ist besser, Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten, als sie nach Religionszugehörigkeit zu trennen.“ Vielmehr komme es darauf an, dass alle Schüler der unterschiedlichen Kultur- und Religionszugehörigkeiten zu einem gemeinsamen Austausch und Dialog zu dem spannenden Thema Religion und Werte fähig seien und gemeinsam unterrichtet werden.

Die Mitarbeiter in der Bildungsbehörde wissen aber auch, dass die Hansestadt mit diesem Projekt absolutes Neuland betritt. Deshalb verlangt Bildungssenator Rabe auch, die Realisierung mit Behutsamkeit und Augenmaß anzugehen. „Wir wollen uns nicht unter Druck setzen, sondern das Projekt in einer Zeit von fünf Jahren bewegen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Verbände und Gemeinschaften bereits seit langer Zeit eng zusammenarbeiten und gemeinsam den künftigen Religionsunterricht gestalten wollen“, so der Senator.

„In Hamburg machen wir seit mehr als 30 Jahren sehr gute Erfahrungen mit dem ,Religionsunterricht für alle’ (RUfA)“, sagt Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck. „Die hohe Akzeptanz zeigt sich auch darin, dass fast alle Schülerinnen und Schüler daran teilnehmen. Bislang fand dieser Unterricht allerdings allein in evangelischer Verantwortung statt. Die Staatsverträge, die Hamburg vor drei Jahren mit Muslimen und Aleviten geschlossen haben, sehen eine Weiterentwicklung mit dem Ziel einer größeren Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften vor. Die Inhalte wird das nicht verändern: Im Vordergrund steht beim RUfA weiterhin, dass Inhalte aus dem Blickwinkel verschiedener Religionen angeschaut werden und der Religionsunterricht im Klassenverband erhalten bleibt“, so die Protestantin.

Der katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke vom Erzbistum Hamburg sagt zum Staatsvertrag: „Ein religiöses Recht darf nicht in Konkurrenz zum staatlichen Recht stehen. Es kann nur für Mitglieder gelten, die es freiwillig befolgen wollen. Die Staatsverträge mit den Ländern begründen kein Sonderrecht. Sie drücken Anerkennung aus und nehmen zugleich die Religionen in die Pflicht.“ Weihbischof Jaschke ist der Auffassung, dass „Muslime das Recht zum Unterricht und zur theologischen Präsenz in Universitäten haben sollen – immer nach den Regeln, die bei uns gelten. In Hamburg startet das Modell eines Religionsunterrichts zusammen mit der evangelischen Kirche und den Muslimen. Es muss sich bewähren. Katholiken halten noch an ihrem eigenen Unterricht fest.“

Hamburg war das erste Bundesland mit einem Staatsvertrag mit Muslimen

Strategie der Gemischten Kommission aus allen beteiligten Akteuren ist es, zuerst die Inhalte (Unterrichtseinheiten) zu entwickeln und danach über die didaktische und personelle Umsetzung zu entscheiden. Auf muslimischer Seite muss mit Hochdruck geeigneter Nachwuchs bei den Religionslehrern gefunden werden.

Dass Hamburg das erste Bundesland mit einem Staatsvertrag mit Muslimen war, geht auf die positiven interreligiösen Gespräche bereits in den 80er-Jahren an der Universität Hamburg zurück. Der entscheidende politische Vorstoß kam im Jahr 2006 vom damaligen CDU-Bürgermeister Ole von Beust. Er stellte die Möglichkeit eines Staatsvertrags öffentlich zur Diskussion. Ein rechts- und religionswissenschaftliches Gutachten klärte wenig später die offenen Fragen.

Der Begriff „Staatsvertrag“ ist freilich unscharf und wird vom Senat auch nicht verwendet. Denn der Vertrag regelt in weiten Teilen die bereits praktizierte Lage – zum Beispiel, dass muslimische Kinder einen freien Schultag bei religiösen Feiertagen nehmen dürfen. Offenbar bestand das Interesse der muslimischen Verbände darin, mit der evangelischen Kirche gleich behandelt zu werden. 2005 hatte der Senat mit der evangelischen Kirche einen lange nicht als notwendig empfundenen Staatsvertrag geschlossen. Er regelt, was bereits gängige Praxis war und ist.

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